Von dem sizilianischen Macho und seiner Agata

Illustration: Rebekka Heeb

Umbi wartet am Flughafen.

Umbi ist Umberto.

Umbi mag es nicht, wenn ich ihn «Umbi» rufe. Ich glaube, das Wort bedeutet etwas schrecklich Unflätiges in dieser Sprache, die sie hier auf der Insel sprechen – eine Sprache, die aber dem arabischen Souk näher ist als dem Dante der italienischen Kultur.

KURZ. WER HIER NICHT MIT DIESEM GENUSCHEL AUFGEWACHSEN IST, VERSTEHT EH NUR BAHNHOF. UND «FIGA», «figa», «FIGA» – denn darum dreht sich hier alles in dieser zitronigen Macho-Welt.

«Hallloooo Umbiiii!», rufe ich. Und hätte beinahe meine vier Hutschachteln fallen lassen. Dabei sind nur Milchschokolade und Pretuval drin. AUF BEIDES SIND DIE SIZILIANER SCHARF WIE FLIEGEN AUF DIE ZIEGENSCHEISSE.

Umbi schaut geniert um sich. Männer wie unsereins sind in Sizilien das Eintrittsticket zur Hölle. SO DARF MAN EINFACH NICHT SEIN. SO DARF MAN SICH VOR ALLEM NICHT ÖFFENTLICH PRÄSENTIEREN. Deshalb hat sich Umbi auch hinter der etwas angegilbten Säule des «MEETING POINT» versteckt. Er äugt ängstlich um sich, ob ihn auch keiner kennt.

UMBI TRÄGT ZUR TARNUNG EINE DUNKLE BRILLE, WIE SIE SICH DER BLINDE IN «M – DIE STADT SUCHT EINEN MÖRDER» VOR DIE TOTEN AUGEN GESCHNALLT HAT. Aber Umbi ist nicht blind. Bloss geniert.

«Hier bin ich», flüstert er. Und zieht mich hinter die Säule. Ich lasse die Hutschachteln fallen. Und will ihm ein Küsschen… «SEI MATTO?!», zischt das Brillengesicht. Etwa: «HATS DIR INS GEHIRN GEHAGELT?! NICHT HIEEER!»

Dann liest er hastig alle Schokoladenkugeln dieser berühmten Maître Chocolatiers auf, die aus den Schachteln kullern und jetzt wild verstreut auf dem (wirklich sehr) ungepflegten Flughafenboden von Catania die süsse Welt Helvetiens charakterisieren. «ES HAT KEINE MIT NUSS?!», schaut er anklagend vom Boden auf. Und ich frage mich: WESHALB MUSS ICH MIR DAS EIGENTLICH ALLES ANTUN? IST DIE HEILIGE AGATHA DIESEN MIESEN STRESS WERT? Ich darfs schon mal vorwegnehmen: SIE IST ES!

Begonnen hat die Geschichte, als Innocent und ich den sizilianischen Umbi an den Morgestraich lotsten. Er hatte sich bei beiden eingehängt (DA SIND JA DIESE SÜDLÄNDISCHEN BRILLANTINEN-MACHOS WEIT WEG VON MUTTIS SCHUSS. ALSO DARF MAN(N) DA SCHON MAL).

Umbi schaute auf die funkelnden Laternen. Hielt sich die Ohren zu. Und schüttelte wild die dunkle Mähne: «La musica fa schifo… VENITE A CATANIA! GUARDATE LA FESTA DI SANT’AGATA!»

Ich weiss nicht mehr, ob er es so gesagt hat. Aber in etwa schon. Und eines weiss ich noch sehr genau, dass er die Pfeiferei als musikalischen Schutt und die Laternen als «künstlerisch trivial» taxierte. Es fehlte ihm das Gigantische und Goldene seiner Menschenart. Nur die schrägen Töne der Guggemuusig fanden abends dann seine Zustimmung. Und die Laternenträger: «Wie bei uns in Catania!»

Na gut – jetzt war ich da. Und wollte den berauschenden Moment erleben. Immerhin gilt das Fest der Agatha als eines der grössten im päpstlichen Notizbuch. Rund eine Million Leute pilgern die Strassen von Catania rauf und runter. Ansonsten sind diese Strassen eher düster. Das kommt vom Lavagestein, das so schwarz ist wie tausend Priesterröcke. Jetzt aber hat man überall bunte Lichterbogen aufgehängt. Und lässt es krachen.

Die Sizilianer jagen in drei Tagen alles Ersparte in die Luft. Wer die politische Situation kennt, weiss, dass sie damit gut beraten sind. BESSER EIN LICHT AM HIMMEL ALS EINEN EURO AUF EINER ITALIENISCHEN BANK! Sie feuerwerkeln also alle drei Nächte lang durch.

Über der Stadt hängt jetzt nicht nur der Rauch des ewig tobenden Ätnas – da zieht sich auch ein dicker, schwefliger Nebel der pyromanischen Ergüsse durch die verwinkelten Gassen. DER NEBEL WIRD VON HIMMLISCHEN DÜFTEN UMWOBEN: gebrannte Mandeln, bunte Nougatberge im Marzipanmantel, Äpfel im Sirupkleid, kandierte Orangen und Feigen, dies alles ladet zur Sünde ein (während man gleichzeitig Agatha anfleht, solche zu vergeben).

AGATA IST ÜBERALL. EINMAL MIT H, DANN WIEDER OHNE. EINMAL MIT BRUST (vorher). DOCH MEISTENS OHNE (nachher).

Die Sache mit der Brust ist eh die Lieblingsgeschichte der Leute hier. Es ist die Soap-Opera des Jahres 250 nach Christus: Agata war eine gar schöne Maid – eine «figona», wie sie dem heute sagen. Agi war eine Tochter aus gutem Hause. Und Quintanius, dieser falsche Fünfer, war scharf auf sie. Im Übrigen war er auch ein scharfer römischer Statthalter. Als die Jungfrau seinem Werben nicht nachgab, weil sie sich der Keuschheit und dem christlichen Glauben verschrieben hatte, drehte der durch. ABER TOTAL, KANN ICH EUCH SAGEN. In seiner psychopathischen Wut schickte er das arme Kind ins Freudenhaus. Als dies auch nichts brachte, befahl er, man müsse der Jungfrau die Brüste abhacken. JA, DAS HABE SIE JETZT DAVON!

Die römischen Feldherrn säbelten. Aber die guten Engel beschützten die noch bessere Agatha. Sie blutete zwar. DOCH SIE ÜBERLEBTE. Jetzt liess man sie auf glühenden Kohlen rollen. Das war dann das AUS DIE MAUS.

Das arme Kind starb am 5. Februar 251. ­Natürlich waren die Sizilianer eh muff auf die Römer. Und sie sind es auch heute noch. Man lässt sich auf dieser Insel nichts von Rom ­vorschreiben. ALSO WURDE AGATHA ALS GROSSE HELDIN VEREHRT.

Und als dann gar ein paar Monate nach ihrem Märtyriumtod ein Vulkanausbruch die Lava des Ätna in die Stadt kotzen wollte und ein paar Christen den Mantel der Heldin flehend dem pechschwarzen Fluss entgegenhielten – SIEHE DA: DAS SCHWARZE GRAUEN STOCKTE. AGATAS MANTEL RETTETE DIE STADT.

«Hier ist noch ein Relikt davon!» – erklärte Umberto stolz. Er zeigte auf ein goldenes Riesengestell, das mit Glaslampen und Gipsengeln verziert war: «Das ist eine Candelora. Und in dieser hier von Sant’Agata alla Fornace ist noch ein Rest vom roten Stoff, in dem das schöne Mädchen gefoltert wurde.» Also ehrlich: Man sah nur ein verwittertes Fetzchen. Und die Scheibe hätte auch wieder mal geputzt werden sollen.

Umbis Stimme aber versagte hier. Er hatte Tränen in den Augen. Ähnlich wie unsereins beim Lichterlöschen am Morgestraich. Und da wären wir schon bei Parallelen zu unserer lieben Stadt. Aber darüber später, wenn Umbi sich wieder eingekriegt hat …

Dienstag, 14. März 2017