Von der Omama, die wir so nicht nennen durften

Illustration: Rebekka Heeb

«BENIMM DICH!» – das war das Alltags-Credo meiner lieben Omama. Natürlich durfte ich nicht «Omama» sagen. Nur «dear Lydia». «Shitty Hexenbesen» hätte es besser getroffen.

Omama hatte mit den angeheirateten Banden ihrer Tochter nichts am Hut. Ebenso wenig mit ihrem Enkelkind, das sie zuerst einen «verzogenen Balg» nannte. Später dann einen «räudigen Hund». Und noch später, als ich mit 15 meinen ersten Offizier heimschleppte, «ein verdorbenes Miststück». ALSO DA KONNTE KEINE HARMONIE ZWISCHEN UNS AUFKOMMEN!

Nein. Die Omama, die keine sein wollte, war stur wie ein Bündner Bock oder ein Zürcher SVP-ler. Sie gab sich weltweit mit einem «von» – nämlich «von oben herab» (wenn ihr wisst, was ich meine). Und medizinisch betrachtet stufte der Ärzteverband sie in Giftklasse 10 ein.

ABER IMMERHIN WAR SIE MEINE OMAMA – UND DESHALB «musst du sie gerne haben!». Diese Hymne meiner Mutter kam so sicher wie «Lobet den Herrn» in der reformierten Predigt. MEIN GOTT, WAREN ERWACHSENE BLÖD!

Die Omama, die nicht so genannt werden wollte und dank Elizabeth Ardens Alleskleister auch mit 80 noch aussah wie eine ausgespachtelte Käthe-Kruse-Puppe, lovely Lydia also zog punkto Sexualität auch keine schlechte Nummer ab. Von irgendwoher musste ich das Räudige ja haben. Und da sich dieses Wüste bei meinem Vater auf Tramschaffnerinnen und bei der lieben Mutti auf das Kneten von Gipfeliteig beschränkte, konnte meine versaute Frühreiflust nur von der Omama her stammen – oder eben von «dear Lydia», wie wir sie zu rufen hatten.

Die Omama (ich nenne sie jetzt doch mal so – auch wenn sie es in der Gruft Asche regnen lässt), die Omama also war in etwas aufgewachsen, das sie der Familie stets als «unser Gut» hochjodelte.

Sie ritt als junges Mädchen auf ihrem eigenen Pferd aus. Sie besass ein persönliches Ankleidezimmer mit etwa einem Dutzend Kindermädchen, die sie alle zur Schnecke machte. Und sie weigerte sich schon als kleine Göre, aus etwas anderem als aus einem Tässchen mit dem Meissener Streublumenmuster zu trinken. So eine war sie. ICH MEINE – KAPIERT IHR NUN, WAS DIE ÄRZTE MIT GIFTKLASSE 10 MEINTEN?

Lydia hat diesen Dünkel nie abgelegt – auch nicht, als sie mit ihrem Ehemann vom Stand her so ziemlich die Arschkarte zog.

Denn der Opapa war Elektroingenieur. Das brachte es mit sich, dass er meistens ausser Haus war. Insofern hatte ER die Trumpfkarte gezogen. Denn spätestens nach drei Tagen mit «dear Lydia» hätte auch eine UNO-Friedenstruppe die Flucht ergriffen.

Der Opapa hiess Adolf. Dieser Name war zur Zeit des Führers ein böser Makel. Aber reiner Zufall. So wie heute jemand aus Versehen Wladimir oder Donald heissen kann – DIE KÖNNEN ALLE JA AUCH NICHTS FÜR DIE ANDERN!

Der Opapa soll herzensgut, doch nierenschwach gewesen sein. Mit 50 schon biss er ins Gras. Und die Kembserweg-Omi posaunte an der Erdbestattung über alle Gräber: «DER DÖLFI HATTE DOCH EIN SAUGLÜCK, SO FRÜH DIESEM WEIB ZU ENTKOMMEN – DER TOD WAR IHM GNÄDIG! AMEN.»

Wie gesagt, das war die Omi von der Vaterseite. Wir durften sie «Omi» nennen. Da war sie sich nicht zu vornehm für. «Aber ihr könnt mir auch ‹Anni› sagen» – grinste sie dann. Und drückte uns Kinder an ihren üppigen Busen, der ihr schon als junge Frau wie ein vergessener Kartoffelsack über den Putzkesseln hing. Denn Omi Anna scheuerte sich für andere Leute die Hände rissig. Und die Brüste lang.

Es zeigte sich später, dass «dear Lydia» nach dem Tod ihres Gatten ein bisschen die Sau rausliess: SIE WARF SICH AN JEDES HOSENBEIN.

Lydia war zwar dank der Kosmetikindustrie ein schön aufgetakeltes Weib – aber spätestens nach drei Stunden Kommando ihrerseits haute jeder noch so starke Krieger ab. Und war höchstens noch mit Geschenken und Erbzusagen bei der Stange zu halten. So kam es, dass die Omama, die wir nicht so nennen durften, etwa sechs Dutzend Männer und ein Vermögen durchliess. Der Einzige, der Verständnis zeigte, war ausgerechnet ihr Schwiegersohn, den sie als «der rote Hund» in ihre vornehme Konversation einbaute.

Papa hatte schon damals ein Herz für alternde Damen: DIE TAUBE GURRT, «WENN DER KÄFER SURRT» – das war Goethe nach Drämmler Art.

Natürlich jaulten die Töchter von «dear Lydia» auf, als da plötzlich nur noch ein goldener Champagner-Quirl übrig war. «…UND DAS MEISSEN IST AUCH WEG?!», tobte meine sehr sanfte (aber in materiellen Dingen speckschwartenharte) Mutti. «Armando hat es mitgenommen», schnüffelte Lydia. «WER ZUM TEUFEL IST ARMANDO?!»

Jetzt tupfte sich die Omama (die wir nicht so nennen durften) die Tränen unter dem Hutschleier aus den Augen: «Mein letzter Chauffeur. Ach Kinder – ihr wisst nicht, wie schrecklich es ist, ohne Chauffeur leben zu müssen!» Nein. Das wussten wir alle nicht.

Viele Jahre später bin ich mit meiner Mutter im basellandschaftlichen Aesch bei einem alten Reihenhaus vorgefahren. Wir schälten uns aus dem alten VW. Und Mutter schaute sich die baufällige Bude an: «Das ist es. Nach den alten Unterlagen muss dieses Haus hier das alte Gut der Omama sein…» Eine nette Frau bat uns herein – das Ganze war jetzt ein Heim für Ausländerkinder. Die Hütte war klein – von einem feudalen Gut keine Rede! Kinder aller Nationen tollten herum.

Meine Mutter nahm mich an den Händen: «Glaub jetzt, was du willst. Aber irgendwie macht es der liebe Gott immer richtig – so viel fröhliches Lachen hat dieses Haus zu Omamas Kinderzeit bestimmt nie erlebt. Irgendwie ist das tröstlich…»

Okay. Mag ja sein. Aber ich hätte lieber ein grosses Gut geerbt. Da war ich wieder ganz die Omama, die wir nicht so nennen durften.

Dienstag, 24. Januar 2017