Haarschnitt

Er wollte nicht mehr.

FERTIG. AUS.

Hans schaute in den Friseurspiegel.

Seit über einem halben Jahrhundert hing der an der Wand. Schon sein Vater hatte davor Haare geschnitten, Schnauzer gestutzt, Bärte rasiert.

Es war keine Frage, dass Hans die Schere übernehmen würde.

Hat er auch. Er spezialisierte sich auf Coupe Hardy. UND Bürstenhaarschnitt.

Es kam eine lange Zeit der langen Mähnen. Die totale Krise. Haarig!

Aber Hans hatte eine treue Stammkundschaft. Diese hatte mit Make-love-not-war-Ideen nichts am Hut. Sie wollten einen sauberen Schnitt. Und die Liebe ohne Drullala.

Dann starb die Kundschaft weg. Die Konkurrenz wurde immer grösser: «Die Türken servieren jetzt Kaffee und drücken die Preise!», tobte er in der Wohnung über dem Geschäft.

Emmi klopfte ihm auf die Schultern: «Qualität hat keinen Preis, Hans. Und du bist Qualität. Serviere doch Lindenblütentee. Wir haben Tonnen davon.»

Hatten sie.

Im Garten standen drei Bäume. Emmi dörrte Blätter und Blüten. Sie hätte die ganze Stadt damit bedienen können.

Dingdong.

Die Ladenglocke war auch noch vom Vater.

Paddy, der jüngste Enkel, hüpfte auf den Lederstuhl: «Jetzt schnitz mir mal diese Frisur hier, Opi – kannst du doch?»

«Klar», seufzte Hans. Und sah sich die Foto an, die sein Enkel aus einer Illu rausgerissen hat: «Es muss oben viel und unten fast nichts sein – wie ein Pilz, Opi.»

OH JERUM!

«Das ist gegen jede Frisuren-Regel!», wetterte Opi.

«Aber modisch…», gab der Enkel contra.

Und: «Ich gehe zu Ali. Der machts…»

Ali war Konkurrenz. Und der Vater von Paddys bestem Freund Yusuf.

Fünf Minuten später schnipselte Opi tosend drauflos: «Verdammich – dafür bin ich nicht 75 geworden!»

«Magst du einen Tee, Paddy?» – Emmi drückte ihren Enkel an sich.

Als er ging, kniff Paddy den Grossvater in die Arme: «Na also – geht doch…» Und: «Danke für den Tee, Omi…»

DINGDONG!

Hans wischte die Haare zusammen.

«Ich gebe den Laden auf – FERTIG!», wetterte er über dem Besen.

«Die Oper hatten wir doch schon, Hans … was willst du danach machen? MIR ZU HAUSE AUF DEN FÜSSEN RUMSTEHEN?! Vergiss es. Ach ja, könntest du mir heute Abend eine blonde Mèche vorne reinfärben und …»

«Ich kann ja auch noch grüne Farbe besorgen!», knurrte er.

«GUTE IDEE – TRINK EINEN TEE», grinste Emmi.

Am andern Tag dingdongte es schon früh. Yusuf stürmte in den Laden: «Cooler Schnitt von Paddy. Will ich auch. ABER MEIN VATER DARF MICH HIER NICHT SEHEN. Könnten Sie die Storen runterlassen…»

Hans schnippelte. Emmi tauchte auf: «Magst du einen Tee, Yusuf…?»

Dann dingdongte es konstant. Zuerst die Klasse von Paddy. Dann die ganze restliche Schule.

«Sie finden den alten Schuppen hier total abgefahren», flüsterte Paddy seinem Grossvater zu. «…und Omi mit dem Tee ist eine wirklich schräge Nummer!»

«Na dann», sagte der Opi.

Und: «…ich habe heute neue Farbtöne bekommen. Ist ein heisses Grün dabei…»

Montag, 9. Januar 2017