Herbstblumen

«WAAAALTI – könntest du mal mit dem ­Abfallsack…?!»

Hildi stand in der Küche. Sie kochte Quitten zu Mus. Die letzten dieses Jahr.

Und natürlich hatte sie die Früchte viel zu spät vom Baum genommen. Sie waren nun gelb. ­QUITTENGELB. Und jeder Banause wusste, dass Quitten jung vom Ast besser gelierten. Und mehr hergaben.

«Du hast die Quitten viel zu spät abgenommen…», nörgelte er in Richtung Küchentür.

«WASISSSLOOS?» – Hildi kam herbeigedüst. Sie wedelte mit der tropfenden Konfitürenkelle. Und trug eine Ärmelschürze voller Flecken.

Vor zwei Tagen hatte sie Hagebutten zu Mus gekocht. Die Konfitüre blubberte etwas zu stark. Danach sah die Köchin aus wie eine abgestochene Mordleiche im Sonntagskrimi.

Walti schaute angewidert auf die Schürze. WO WAR SEINE TOPELEGANTE HILDI VON EINST GEBLIEBEN?

Als er sie an jener Juni-Party erstmals sah, war ihm die Luft weggeblieben: eine blonde ­Schönheit.

Sie tanzte in einer weissen Bluse Rock ’n’ Roll. Damals war sie noch unbefleckt.

Walti hatte sich sofort verliebt. Beim Slowfox biss er sie ins Ohr. Und als er Hildi dann heiss an sich drückte und sie mit dem Schnauzer anblochern wollte, klebte sie ihm eine: «SO WEIT SIND WIR NOCH NICHT, MEIN LIEBER!»

Zwei Monate später erlag sie seinen Blumen, die er ihr täglich vor dem Kriegsdenkmal pflückte. Und ins Büro brachte…

Es kam die erste Einladung: ein übertrieben ­hochgestyltes Restaurant, wo sie beide nicht ­wussten, wie man diese verdammten Scampi aus der Schale kratzen konnte.

Sie verliessen das Lokal. Und bestellten im Bahnhofsbuffet Spiegelei mit Rösti.

Walti hebelte nun los: «Du hättest die Quitten j u n g nehmen sollen. Nur junge sind gut. Und gelieren wunderbar…»

«JETZT FANG D U NICHT AUCH NOCH MIT ­DIESEM JUNGWAHN AN!», tobte Hildi.

Sie wedelte genervt mit der Kelle – sodass auch Waltis Brust wie TATORT aussah!

«Zieh dir ein frisches Hemd über!», bellte Hildi.

«UND WIRF D U DIR EINE SAUBERE SCHÜRZE AN…» – gabs ihr Walti zurück.

Sie stemmte die Fäuste in die Hüften: «ES GIBT EBEN LEUTE, DIE MÜSSEN ARBEITEN UND KÖNNEN NICHT EINFACH IM WEISSEN HEMD HERUMSPAZIEREN!» – das war ein Tritt an seine Pensionierung.

Seit er pensioniert war, fühlte sich Walti als ­fünftes Rad am Wagen. Er sass in der Wohnung herum. Und wollte ein paar Verbesserungs­vorschläge anbringen – etwa:

«Ich zeig dir jetzt, wie man eine Geschirrwaschmaschine effizient einräumt und…»

«WALTER!»

«…Ich meine es nur gut. Gestern war ein Teller nach dem Spülgang noch immer ganz verkrustet und…»

«WAAALTIII!» – es war der schwelende Kleinkrieg einer ausgelutschten Ehe.

Walti ging in das Italiener-Caffè an der Ecke. Und blätterte die Zeitung durch: ÜBERALL KRIEGE UND ANSCHLÄGE. (UND SEIN LIEBLINGSCLUB HATTE AUCH VERLOREN.)

MIESE WELT!

Auf dem Heimweg kam er an einem ­improvisierten Stand vorbei.

Schüler verkauften hinter einem Holztisch Herbstblumen-Bouquets: «Für unsere Maturreise», strahlten sie.

Walti gab ihnen einen 20-Franken-Schein. Und drückte Hildi den Strauss in die Arme: ­«Herbstblumen! Ich liebe dich trotzdem…»

Sie grinste: «Du hast den Abfallsack nicht runtergebracht…»

Dann schmatzte sie ihm einen Kuss auf den Schnauzer: «Heute Abend essen wir auswärts. Ich lade dich ein: Rösti mit Spiegelei…»

Montag, 10. Oktober 2016