Frau -witsch

Hilde zupfte ein paar der abgewelkten Geranien aus der Blumenkiste.

Die Tauben hatten auf der ganzen Terrasse beschissene Grüsse hinterlassen.

UND AN DEM TÖPFCHEN MIT DEM BASILIKUM KLEBTE DOCH TATSÄCHLICH EINE SCHNECKE!

Weiss der Teufel, wie die auf den Balkon klettern konnte.

Hilde atmete tief durch.

Der Balkon war ihre Welt. Und diese Welt liess sie sich nicht durch Taubenschiss und diesem ­Schleimer von Schneck durch den Dreck ziehen!

Sie holte ein Küchenpapier. Zupfte das flutschige Tier vom Plastiktöpfchen weg. Und wollte die Sache eben über das Geländer entsorgen, als sie es sah: «KAAAAARL – SIE LIEGT SCHON WIEDER DORT!»

Wir alle wissen, dass Karl morgens um neun den Hörapparat noch immer auf stumm gestellt hat.

«KAAAARL – DIESE SAU IST WIEDER DRAUSSEN!»

Der Dahindösende wurde heftig durchgeschüttelt. Unwillig tasteten seine Hände zum Nachttisch, auf dem die Dritten im Zahnglas badeten: «WAS IST LOS – HILDI?»

Die Gattin stemmte die Fäuste in die Hüften: «DIESE DRECKSCHLEUDER TUTS SCHON WIEDER: O B E N OHNE. UND U N T E N NUR GANZ KNAPP – DABEI HABEN WIR AN DER LETZTEN MIETERVERSAMMLUNG ALLE PROTESTIERT…»

«Alle? – Das waren lediglich die Gygax und du», müffelte Karl gereizt. Dann rappelte er sich ­stöhnend hoch: «Da werde ich wohl mal nach dem Rechten sehen müssen…»

«KARL!» – der Ton war misstrauisch –, «ich hoffe doch fest, du gehst jetzt nicht einfach dorthin, um ein Auge voll zu nehmen. Du gibst dieser Hure aus dem Osten den Tarif durch. Und dass so eine ­Sauerei in unserem sauberen Westen nicht geht! ABER GAR NICHT.»

Seufzend hangelte Karl nach seinen Pantoffeln: «Dann stelle ich halt jetzt diese arme Frau!»

«DAS HOFFE ICH DOCH SEHR. SCHLIESSLICH BIST DU ABWART», antwortete Hildi schneidend, «UND ZIEH DIR ZUMINDEST DIE OBEREN REIN … SONST VERSTEHT DIESE SCHLAMPE DOCH KEIN WORT!» – Die fürsorgende Gattin schob ihm eine Reihe makelloser Porzellanbeisser zu.

Karl klingelte.

Natürlich hatte sie kein Namensschild. Karl wusste nur, dass es etwas mit «-witsch» war.

Da stand sie auch schon. Ein schweres Parfum haute Karl schier um.

Frau -witsch hatte sich ein hauchdünnes ­Kunststoffröckchen übergezogen. Und der Abwart kam ins Stottern: «Liebe, gute Frau (grummelgrummel) -witsch. Ein paar Bewohner regen sich darüber auf, dass sie in der Sonne liegen und…»

Frau -witsch strahlte wie die eben herauf­beschworene Sonne: «Ist letztes Sonnentag in September… das nutzen aus…»

«ISSJAGUT», hustete Karl heiser, «aber vielleicht könnten Sie… ich meine: ein Höschen… ein Röckchen… und oben ein Tüchlein und…»

«KAAAARL!» – Es hallte durch den ganzen ­Hausgang.

Frau -witsch lachte. «Aha – verstehen… ist Frau, wo machen Theater… aber gutes Frau… immer ­putzen Dreck von Vögeln weg…»

Hilde wartete unter der Türe. «Was hat die Schlampe gesagt?!»

Karl schaute seine Gattin lange und ungläubig an: «Du seist eine gute Frau…»

Hilde kippte die Kinnlade runter.

Abends klingelte es bei Frau -witsch. Hilde hielt ihr ein Stück von der frisch gebackenen ­Apfelwähe entgegen: «…Es tut mir leid. Aber ­Ordnung muss halt sein! Zumindest bei uns in der Schweiz»

«Bist gutes Frau…», lächelte Frau -witsch.

Am andern Tag regnete es.

Frau -witsch lag nicht auf dem Balkon.

Aber am Basilikum hingen drei Schnecken.

Montag, 19. September 2016