Von der Erfahrung, wie man auf den Hund kommt

Illustration: Rebekka Heeb

Als vor etwa zwei Monaten die SP erstmals laut herausbellte: «EIN HUNDEPARADIES AUF DEM MARKT!», musste ich doch laut lachen. Guter PR-Gag. Gutes Fasnachtssujet. Gute Schlussfolgerung: Die SP ist auf den Hund gekommen. Ich habe dann die Gruppe der Jungsozialisten bewundert, die zurückgebissen hat: «Haben wir in dieser Stadt keine andern Probleme!»

Anscheinend nicht. Wir streiten um Puff-­Zonen und sehen das grosse Puff nicht mehr. Wir rufen nach Hundevergnügen und merken nicht, wie so ziemlich alles zur Sau geht.

SO WEIT DAS WORT ZUM DIENSTAG. MEHR IST NICHT ZU SAGEN UND LIEGT NICHT DRIN.

ZURÜCK ZUM HUND.

Mein Vater war ein solcher – zumindest in den Augen meiner aristokratischen Grossmutter. «Roter Hund» nannte sie ihn.

«Die war so aristokratisch wie ihr Scheiss­papier…», höre ich meinen Alten auf Wolke 12 höhnen.

Nun ja – sie hiess Meier. Aber mit Ypsilon – Me-y-er also. Das liess vergessen, dass sie ledig eine Müller war. Eine Müller mit Doppel-L allerdings …

Jedenfalls hatte es in der Beziehung Schwieger­mutter und Sechsertram mehr Sturm gegeben als während des jetzigen Vorwahlkampfs. ICH MEINE – DA WAR NOCH ETWAS LOS.

Die Grandmama nannte meinen Vater einen «billigen Dackel». Und er sie eine kaltblütige Schlange mit zwölf Giftzähnen (mein Vater nahm es mit der Zoologie nicht so genau).

Ich liebte meinen Vater heiss. Aber noch heis­ser liebte ich Hunde. Deshalb wünschte ich mir so etwas kuschelig Wedelndes zum zehnten Geburtstag. Da wir eine politische Familie waren (Mutter strickte auf Vaters Gegenseite rechts), wurden Wünsche nicht ohne Wenn und Aber erfüllt. Immer war ein bisschen Erpressung dabei – Politik eben. «Gut. Du sollst einen Hund bekommen. Aber nur, wenn du im Schulzeugnis alles Einser heimbringst.»

Nun war ich in der Primarschule ein begabtes Kind (das hat sich später gelegt). Doch im Turnen schrieb mir mein freundlicher Lehrer Ruppli stets eine Zwei. Und die Bemerkung («Er gibt sich Mühe, aber es und er bringens nicht.»)

DAS WUSSTEN DIE FIESEN ELTERN!

Was sie nicht wussten, war, dass auch das Kind politische Talente entwickelte. Dazu noch diese schauspielerische Fähigkeit einer Garbo, die für einen Politiker unerlässlich ist (na ja – ausser vielleicht für Frau Merkel).

Jedenfalls klopfte ich bei Lehrer Ruppli an die Haustüre. Warf mich seiner Frau zu Füssen. Und die alarmierte in Panik ihren Alten: «Haaans – hier ist ein Bub, der sich in die Hose macht!» Sie fütterten mich mit Salzbrezeln, flössten mir Sirup ein und konnten mein Geschluchze endlich richtig deuten: «ISCHHHHH… MUSSS… ALLES EINSER… SONST SCHLAAAAGEN SIE MISCHHHH TOOOT!»

Ich log ihnen das Rote von der Hölle (auch dieses wunderbare Gabe hatte ich von meinen politischen Eltern mitbekommen): «Mein Vater ist jähzornig, meine Mutter depressiv – sie erwarten alles nur Bestnoten. Wie soll ich das schaffffffen…?»

Wieder brach ich in ein Bad künstlicher Tränen aus.

Und «Ist ja gut… ist ja gut!», tätschelte mir mein Primarlehrer den Kopf, «ich rede mit deinen Eltern…»

«DAS BRINGT NICHTS – VATER IST TAUB UND MUTTER HAT GERADE EINE MENTALE TIEFPHASE!», hielt ich den Pauker von den Alten fern.

Und dann: «…Wenn Sie mir im Turnen die Eins setzen, schreibe ich Sie nächsten Monat bei der Wahl zum beliebtesten Pauker des Schul­hauses dreimal auf die Liste. Und meine Freundin Rosie auch – obwohl die mehr auf den jungen Sport­lehrer Feigenwinter steht…»

Was sollen wir noch lange darum herumreden – Politik funktioniert nun mal so. Ruppli wurde zum Super-Magister gewählt. Und ich hatte ein Zeugnis mit blanken Einsen. UND DESHALB AUCH ANRECHT AUF EINEN HUND.

Sie holten ihn dann bei irgendeinem Bauern. Er war eine undefinierbare Mischung (der Hund).

Jedenfalls hat das kleine Haarbündel zuallererst die Beine breit gestellt. Und Mutters Seiden-Ghom getauft.

DER TEURE TEPPICH WURDE SEIN STAMMBAUM.

Wie in 99 von solchen 100 Fällen gab das Kind die Arbeit, Pflege und Verantwortung für den Hund an seine Mutter ab. Die tobte. Aber wenn sie keinen nassen Seiden-Ghom haben wollte, musste sie mit ihm auf die «Anlage». Immerhin hat sie dann diese Ausflüge mit politischer Propaganda verbunden. Etwa: «Macht sich dieser grüne Klee hier nicht wundervoll für unsere Lieblinge – die Grünanlage hat mein lieber und libe­raler Parteikollege angepflanzt.»

Oder: «Ist es nicht eine Schande, dass wir Hundesteuern bezahlen müssen. Und wer bezahlt die Plakette für unsere Links-­Politiker?»

Jedenfalls wählte damals das sonst linke Areal rund um den St.-Galler-Ring ausschliesslich rechts.

Wir nannten den ersten Hund «Zwirbel». Weiss der Teufel, wie wir auf diesen schrägen Namen kamen. Aber später nannten wir auch seine Nachfolger so. Und das Chalet in Adelboden. Und die Occasionsschlitten meines Trämler-­Vaters. ALLES «ZWIRBEL».

Zwirbel dominierte bald einmal die Familie – wäre das dem Kind vorher klar gewesen, hätte es den Köter zum Teufel geschickt. Der Bub war jetzt nicht mehr Mittelpunkt. Man hörte vom Korridor bis zum Schafzimmer nur noch «Biebeli … ja wo is er denn?» Und «Gudigudi für Zwirbi-Biebi…»

Damals habe ich gelernt, mit einer falschen politischen Entscheidung leben zu müssen. Diese Erfahrung hat mir später vieles erleichtert.

Dienstag, 13. September 2016