Von der Gaypride und gealterten Tunten

Illustration: Rebekka Heeb

Beat wollte.

Beat lebt schon ein halbes Leben in Rom. Die Liebe hat ihn hierhergeführt.

Dann platzte alles. Aber Rom war stärker als die Liebe.

Beat blieb – nicht umsonst sagt man Roma Eterna, das Ewige Rom.

Man müsste dazu ergänzen: amore passerà – die Liebe geht vorbei. Nur die Ruinen von Rom stehen noch immer. Und machen Politik.

DAS ALTE LIED!

Beat wollte also und drängelte: «HIMMEL – GIB HIER NICHT DIE KONSERVATIVE TRULLA! EINE GAYPRIDE IST DOCH WITZIG. ÜBERDIES SOLLTEST GERADE DU FÜR DIE SACHE KÄMPFEN!»

Welche Sache? Was für ein Kampf? Und warum ich? Immerhin habe ich ein Leben lang gezeigt, was Sache ist. Und kämpfen ist nun mal meine Sache nicht. Deshalb: «NEIN. ICH HASSE DIESE ART VON DEMOS. ICH MAG ÜBERHAUPT KEINE DEMOS!»

Um Klartext zu reden: Meines Erachtens ­bringen Demos nur immer eine verstopfte City. Verkehrschaos. Und geplatzte Rendez-vous.

In Rom laden uns die Freunde meistens an den Wochenenden zum Nachtessen ein. Wir wohnen im Zentrum – die Freunde aber entweder vornehm an der Appia Antica. Oder im Kommunistenviertel rund um San Lorenzo. Busverkehr, Tram­linie, Metro – von Freitagabend bis Sonntagnacht ist alles lahmgelegt. Die Demos!

Da Innocent mit seinen bald 100 Lenzen auf kein Velo mehr umsteigt, ist auch dieser Kunstgriff am Arsch. ALSO TAXI. Aber die kommen nicht durch. Und die Zentrale lässt ihre Sprechplatte spulen: Chaos. Blockade. Krieg. Man solle es doch zu Friedenszeiten erneut probieren.

Wir rufen also die Freunde an: «Leider müssen wir absagen.» Die rümpfen die Nase: «Man wohnt ja auch nicht in der Altstadt!»

Stimmt. Denn natürlich wollen auch die Demonstranten etwas von ihrem Aufstand haben: SPASS. SPASS. SPASS. Deshalb gehts ab mit dem Krieg in die Unterhaltungszone. Die Demos von heute sind die Strickkränzchen von gestern – nur der Locus und der Stoff hat sich geändert. Statt Wolle: Speed. Statt Beutelchentee: dieses Gesöff, das Flügel verleiht. Nochmals: «Ich hasse Demos!»

Beat, nun auch wacker in den Fünfzigern, aber noch immer mit Stecker im Ohr, schüttelt missbilligend den Kopf: «Das hier ist doch Fun.» (Er sagt: «FANNNN!»). «Ein bisschen wie Zürichs Street­ Parade. Und die vielen verrückten Figuren, die da auftauchen! Es ist ein Fellini-Parcours von jetzt. Da kannst du nicht einfach abseitsstehen!»

Ich bin nicht jetzt. Ich bin heute schon gestern. Und auf keinen Fall will ich morgen sein. Na also.

«Ich lade dich vorher zum Mittagessen ein?» Da er mir ein Dessert garantiert und «ganz sicher keine Kutteln», lasse ich mich weichklopfen. Innocent winkt ab: «Mit dir habe ich jeden Tag Gaypride. Ich schaue Fussball.»

Mit Fussball ist es ähnlich wie mit den Demos: blockiert alles. Und bringt nichts.

SOWEIT DAS WORT ZUM DIENSTAG.

Ich kann mich noch sehr gut an die erste Gay-Parade in Basel erinnern. Fred Spillmann und ich hingen an seinem Fenster. Und schauten zu, wie da ein Riesenaufmarsch von grell gekleideten Menschen mit bunten Ballons und viel Lachen über die Mittlere Brücke zog. Alle waren ein marschierendes Ausrufezeichen: «Wir wollen leben – wir wollen unsere Rechte!» Und alle lachten viel. Waren ausgelassen. Ihr eigener Mut jagte das Adrenalin herum.

Ich selber fand die Sache unnötig. Aber Spillmann nervte sich ins Grüne: «Alles kontraproduktiv!» Ich schalt Fred eine «alte Ziegermecke» und sagte: «Du bist doch nur eingeschnappt, weil du nicht mehr als einzige Dragqueen durch die ­Strassen fegst!»

Er schaute mich lange an. Drückte etwas gereizt seine Zigarette aus. Und meinte: «Vielleicht hast du ja recht. Aber wenn man politische Zeichen setzen will, dann müssen die mutiger sein. Und nicht einfach mit einer Parade voller ­lustiger Knallbonbons …» Ich schwieg etwas beschämt. Ich wusste, was er meinte. Während der Hitler-Zeit, als die Deutschen Paris besetzt hatten, liess Spillmann zum Abschluss seiner legendären Modeschau seine Mannequins in rot-weiss-blauen Fahnen durch die Salons gehen. Auf dem «bleu-blanc-rouge» war in Pailletten eingestickt: JE REVIENDRAI…

Diese Art von Demonstration brachte ihm einen Tadel des Departements für auswärtige Angelegenheiten ein. Überdies wurde er in Deutschland auf den Litfasssäulen als «Staatsfeind» aufgeführt.

All diese Basler Erinnerungen sind auf der Piazza Cavour in mir hochgestiegen – wie die bunten Gaypride-Ballons zum bedeckten Himmel.

«Ist es nicht irr ?!», versuchte Beat die vibrierenden Bumm-Bumm-Bässe aus den technospeienden Lautsprechern zu übertönen. Der riesige Zug setzte sich in Bewegung – Transsexuelle zeigten, was neu eingesetzt und weggeschnipselt war. Lesbische Mütter fuhren ihre Kinder spazieren. Und die Kinder tanzten fröhlich zur Musik. Nightclubs schickten Show­wagen mit hin und her zuckelnden Ledermännern: nun ja. Wenig Leder. Aber viel Bizeps und ausgebeulte Knapphöschen.

Wenn man genauer hinschaute (und dafür waren wir ja gekommen), entdeckte man Ähnliches wie bei den Zünften, den Fasnachtscliquen oder dem Federball-Club: Der Nachwuchs fehlt. Es ist der ältere Jahrgang, der sich selber feiert. Und nicht mehr aufhören kann.

«Wo sind die Jungen?», brülle ich zu Beat, während eine sitzen gebliebene Braut in 100.000 Meter verdrecktem Tüll mich innig umarmt. «Die Jungen brauchen nicht mehr zu kämpfen», seufzt Beat. «Für sie ist das, was wir erreicht haben, alles ganz normal…» Die falsche Braut mit dem Brusthaar zwinkert mir mit einem Pfund Wimpernhaar zu. Ich zwinkere zurück. Und schleiche mich da­­von. Bei der Piazza Venezia holt mich Beat dann wieder ein: «MEIN GOTT, MUSST DU SO ELITÄR TANTIG TUN – DU BIST ALT GEWORDEN, MEIN GUTER!» Eben.

Dienstag, 23. August 2016