Von der Schiffs-Phobie und einer Puppe

Illustration: Rebekka Heeb

Innocent liebt Schiffe.

Wenn wir in unserer langen Partnerschaft auch viele Klippen sanft umschifft haben, beim Thema KREUZFAHRT wogen die Wellen hoch.

ODER UM ES IN KAPITÄNS-LATEIN AUSZUDEUTSCHEN: DIE DISKUSSIONEN STEHEN AUF STURM.

Innocent stürmte immer wieder: «Jetzt mach halblang. Die heutigen Dampfer sind stabiler als der Schweizer Franken. Kein Schwanken. Kein Schaukeln. Mach mir die Freude – komm endlich an Bord!»

JA HAT DER DENN NIE DIE «TITANIC» ABSAUFEN SEHEN?!

Vielleicht war es ja wirklich Negulescos Untergangsfilm, der mir den Rest gab. In diesem Schwarz-Weiss-Streifen der 50er-Jahre stürzten die Bäche derart dramatisch durch die Kabinen, dass der Bub bleich erstarrt im Kinosessel hockte.

Nach dem Film hatte ich mir sämtliche Nägel abgekaut. Und lamentierte laut zum Thema Schifffahrt: «DAS WARS. MEINE PSYCHE IST MORALISCH ÜBER BORD GEGANGEN.»

Schon die Voraussetzungen waren mies: An meinem sechsten Geburtstag schleppte mir mein Vater ein blechernes Dampfschiff zur Torte. Da ich mir eigentlich diese Puppe, die auch Windeln nässen und die Augen rollen kann, gewünscht hatte, war der Tag eh so was von scheisse!

VATERS BLECHSCHIFF WURDE KEIN AUFHELLER ZUM FEST!

Der liess sich aber nicht beirren. Mittels einer Meta-Tablette erzeugte er so etwas wie ein Räuchlein, das Dampf sein sollte. Kleine Holzfigürchen wurden an Bord verteilt. Und das Wasser in der Badewanne eingelassen.

Dann drehte er den Aufziehschlüssel des Spielzeugs auf volle Kraft voraus. Schon jagte das Schiff von der Anlagestelle zur Seifenschale.

Mit entsetzten Augen musste ich zusehen, wie mein Schiff am langen Stiel der Massagebürste aufprallte. Und kippte. Es spülte seine hölzernen Passagiere erbarmungslos über Bord. Sie schaukelten im Fichtennadel- Gewässer. Und schrien um Hilfe.

«ICH WILL DIE BRUNZPUPPE!», brüllte ich entnervt.

Da gingen erstmals auch Vaters Träume, die er für seinen Sohn spann, im Schaum baden.

Als ich etwas grösser und, wie meine naive Grossmutter glaubte, «vernünftiger» wurde, lud sie das Kind nach Weggis in die Ferien ein.

«Wir gehen heute aufs Schiff!», strahlte sie den Enkel an. «Ist das nicht fein?»

DAS WAR ES NICHT.

Schon bei Kehrsiten kehrte es mich. Ich war im Gesicht so grün wie alle Rigi-Matten. Und hing würgend über der Reling.

Wir schwankten von Bord. Und meine Grossmutter – eine ziemlich resolute Dame – schaute entsetzt auf ihr strenges Chanel-Deux-Pièces (Kopie): «Weisst du was , du Stinker – du kotzt mich richtig an!»

Das hatte ich ja bereits erledigt. Und als mein Vater die Sache von der versauten Schwiegermutter erfuhr, schmierte er mir vor Freude einen Zweifränkler. Da hatte er zumindest etwas mit der Puppe wiedergutgemacht.

Mit 16 bestieg ich dann mein erstes grosses Schiff. Nun gut – es war nur so ein Fährendampfer zwischen Calais und Dover.

Ich fuhr damals Nurejew hinterher. Wo immer er tanzte, tanzte ich an. Also auch in London.

Als der Kahn in Calais lostutuutete, war noch Frieden unter den Füssen. Im Zwischendeck gabs Schokoladenkuchen. Nun ja – ich hooverte etwa vier Stück rein. Dann kam der Krieg. Mein Magen rebellierte. Und die Fische applaudierten im fröhlichen Schwarm, als ich ins Wasser reierte. In Dover angekommen wollte ich keinen stürmischen Verkehr mehr. Nur noch Ruhe. Und festen Boden. Das war das Ende der Beziehung zu einem grossen Star. Und der Anfang der Schiffsphobie.

Natürlich war mein erster Freund dann ein Hobby-Matrose. Er hatte ein Segelboot auf dem Neuenburgersee. Man sagt, die Liebe überwinde alles. ABER NICHT DAS GESCHAUKEL AUF DIESEN FIESEN, MIESEN BÖTCHEN!

Ich war jedenfalls bleicher als die Segel. Und zog Leine. Damals tat ich den Schwur: KÜNFTIG KOMMT MIR KEIN SEEMANNSGARN MEHR INS KÖRBCHEN.

Innocent hielt anfangs mit seinen nautischen Ideen brav hinter dem Berg.

Als wir dann auf eine Insel wegzogen, bestand ich darauf, dass diese nur «halb» sein dürfe. Also mit Damm und so. Ich wollte nicht dem Wasser ausgeliefert sein.

Eines Tages erklärte mir mein Freund mit verklärten Augen: «Auf meinen 60. Geburtstag wünsche ich mir ein Schiff. ES IST EIN LEBENS­TRAUM. SCHON SEIT MEINER KINDHEIT.»

Da sieht man wieder einmal, wie bescheiden unsereins mit einer Brunz­puppe war!

Na ja – ich wollte ihm die grosse Oper nicht versauen. Und kam zum Einkauf mit.

Am Hafen wippten zahlreiche luxuriöse Jachten sowie Segelboote hin und her. Alle mit dem Schild: SI VENDE. Jeder wollte seinen schaukelnden Schlitten loswerden.

ABER NUR ICH WUSSTE WESHALB.

Gottlob scheiterte der heisse Wunsch an den noch heisseren Preisen.

Und damit wären wir wieder auf Kurs: «Also eine Kreuzfahrt kommt billiger. Jetzt sei doch kein Frosch. Ich muss eh eine Doppelkabine buchen. Es wäre eine Sünde, das zweite Bett unbenutzt zu lassen.»

Ein richtiger Seemann hätte auf dem zweiten Bett andere Sünden begangen. Aber Innocent bettelte und flehte, bis ich schwach wurde: «Aber nur Luxuskabine. Und in Bangkok will ich deine Kreditkarte beim Schneider rattern hören.»

In Civitavecchia erwartete uns der Riesenkahn.

Mit ihm warteten eine Militärkapelle und ein Welcome-Drink.

Als ich dann das kleine, mickrige Zimmer mit den beiden verstaubten Kojen sah, wurde mir bereits schlecht.

«Ich dachte, es sei eine Luxuskabine!», fauchte ich.

«Es war nichts anderes frei», log Innocent druckreif.

Da bin ich stumm wieder an Land zurück. Und liess in der Folge den Schneider in Bangkok sausen.

In einer Hafenbude leistete ich mir zum Trost einen Matrosen. Er trug ein Mützchen mit der Aufschrift: «Buon viaggio.»

O. k. – die Plüschpuppe konnte die Augen nicht rollen. Und hat auch nicht in die Windeln gemacht.

Aber man kann im Leben nicht alles haben.

Dienstag, 9. August 2016