Von dem wüsten Gottlob und seiner Schreber-Idylle

Illustration: Rebekka Heeb

Wenn ich mitunter an diesen Kolonien mit Familiengärten, vorwitzigen Plastikzwergen und einem Beet voller Kunststoff-Schneewittchen vorbeispaziere, werde ich melancholisch.

Na ja – «melancholisch light» zumindest.

Es ist, als würde die Vergangenheit wie ein süss-saures Bäuerchen ­aufstossen.

Ich habe diese Art von Gartenidylle und Petersilienromantik nie sonderlich gemocht.

Herrn Schreber, dem wir ja den Begriff «Schrebergarten» zu verdanken haben – wünschte ich zum Teufel. Erst später haben mich die Himmlischen erhört: Der namentliche Begriff seiner Gartenromantik kam ins böse Unwort-Buch. Die gute Menschenwelt hat damals geschnallt, was Herr Schreber für einer war. NULL ROMANTIK – ABER GANZ NULL. UNTER NULL.

Er hiess Daniel Gottlob Moritz.

Schon bei diesem Namen hätte es den Leuten klingeln sollen. GOTTLOB MORITZ! DA MUSS DOCH EINER STUTZIG WERDEN … DA IST EIN PSYCHODRAMA VORPROGRAMMIERT.

Der schreberige Gottlob also war Pädagoge und Arzt an der Uni Leipzig. Er lebte Mitte des 19. Jahrhunderts. Und setzte sich im Besonderen für Kinderzüchtigung ein.

Zur Erziehung der Kleinen bediente er sich der grossen Natur. Schreber entwickelte Spielgärten mit angrenzenden Pflanzbeeten. Und meinte, ein Kind, das im Freien Holz spalte und Unkraut jäte, sei so gegen Fehlentwicklungen und Masturbation gefeit.

SO EIN WICHSER!

Mit der Masturbation bei Heranwachsenden trieb es der Leipziger Gottlob ganz besonders arg. Masturbation war des Teufels. Und nur «Cretine, Blödsinnige und sittlich Verwahrloste unter den Kindern» (Nullton Schreber), würden zu dieser «ungesunden Art von Triebabfuhr» greifen.

Der emsige Gottlob entwickelte Fesseln, ­welche die Masturbation verhinderten. Als Prophylaxe gegen das Böse empfahl er Kaltwasser­klistiere, Sitzbäder im Eiswasser und «Holzhacken oder Stammsägen» im Garten.

Derselbe Arzt hatte übrigens auch eine lederne Folter für Fehlgebisse entworfen – ein Kinnband, das den Kiefer und die Zahnstellung der Kinder zurechtdrücken sollte. Wie schön habens heute die Druckknopf-Gebisse.

Schmerzt nicht. Und sieht cool aus.

Zum vielen Üblen gabs auch einen «Geradehalter für aufrechtes Sitzen» im Schreber-Katalog.

WEN WUNDERTS, DASS ICH SCHREBERGÄRTEN INSTINKTIV KEINE SYMPATHIE ENTGEGENBRINGEN KONNTE!

Später wurde der Begriff «Schrebergärten» ausgerupft. Es wurden «Pflanzlandplätze» daraus. Die Wurzeln blieben – die Natur ist nicht umzubringen.

Mein Vater nannte unsere 50 Quadratmeter Kopfsalatidylle in schlichter Einfalt «meine Laube».

Na ja. Liebes-Laube hätte es besser getroffen. Im Gartenhäuschen mit dem Pariser Flair stand nämlich auch ein Feldbett. Und Herr Schreber hätte sicher keine Freude am Sechsertramdrämmler gehabt, wie der auf der schmalen Matratze mit seinen Billetteusen die «Triebabfuhr» handhabte.

O.k. Es war nicht der Garten und sein lauschiges Holzhüttchen, die dem sensiblen Kind missfielen. Es waren der Dreck darum herum – das ewige Jäten, Steine-Auflesen, Unkraut-Herauszupfen UND DIE ENGERLINGE, VON DENEN ES DAMALS NOCH TONNEN GAB!

Wie geschälte Crevetten wuselten die fetten Maden in der Erde. Jahrelang habe ich keine ­Garnelen essen können, ohne an diese glitschig-weis­sen Dinger denken zu müssen. Jetzt sind sie ja geschützt, weil Maikäfer daraus werden sollen.

ABER ICH HABE AUCH FÜR MAIKÄFER NIE GROSSE SYMPATHIEN GEHABT. DIESES GEGRIBBEL UND GEGRABBEL.

IGITT IGITT IGITT!

Onkel Alphonse teilte meine Antipathie gegen Engerlinge. Mit Tonnen von gesprühtem Gift spritzte er sie ins Jenseits. Die Gifte waren ökologisch sicher nicht korrekt. Aber er scherte sich einen Dreck darum. Und nahm den Kampf auf, als gelte es den Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen zu gewinnen.

Es mag schon sein, dass die heutige Gartenlaubenwelt romantischer geworden ist. Doch für mich als Kind war sie immer ein Ort des Grauens.

Unser Nachbar Wäckerli killte die Hühner und liess sie kopflos herumflattern.

Die Gartenfreundin von links zog den kleinen, wuscheligen Kaninchen eins mit dem Totschläger über die Löffel.

Und in unserm verlotterten Gartenhäuschen stapelte sich das Bruchgeschirr von daheim: Kannen ohne Schnabel, Tassen ohne Henkel – und bei jedem zweiten Teller war der Rand angehackt. DA KONNTE BEI EINEM BUBEN, DER SEINE ZUKUNFT VOR MEISSEN UND NYMPHENBURG SAH, KEINE FREUDE AUFKOMMEN.

Im Gartenhäuschen herrschte überdies dicke Luft – dies nicht nur, weil meine Mutter auf verschiedene Requisiten von Vaters «Laubenromantik» gestossen war. Irgendwie war alles stickig. Und das Gemisch von erdverdreckten Spaten, leicht angerissenen Gartenschläuchen und durchgeschwitzten Gummistiefeln konnte auch keine Romantik hereinzaubern.

Wenn mein Vater dann verklärt eine handgezogene Zuckerzwiebel salzte und in ein Radieschen biss, gab er zur Wurst noch den Senf dazu: «Das schmeckt doch ganz anders als gekauft, Lotti.»

In solchen Momenten träumte das Kind davon, einmal an einem weiss gedeckten Tisch im «Palace» Wiener Schnitzel serviert zu bekommen.

Gottlob ist Gottlobs Schreberwelt passé.

Wir leben heute eine Laubenromantik mit Fernsehkiste, Wifi-Empfang und Smoothie- Mixern, mit denen man die Bio-Rüebli direkt ab Beet versaftet.

Die Kinder träumen weniger vom Schnitzel am «Palace»-Tisch. Sondern vom Big Mac bei Herrn McDonald.

Immerhin sind dort die Kartonteller nicht angeschlagen.

Dienstag, 12. Juli 2016