Das Fernsehinterview

Elise schloss die Augen. In den Händen hielt sie noch immer den Telefonhörer.

IHR INNERES BEBTE: SIE HATTE ES GESCHAFFT!

Sie, Tochter eines pensionierten Brotbäckers (bei Coop), würde im Fernsehen kommen. IM ­FERNSEHEN! Dort, wo auch Sven Epiney und ­dieser lustige Wetterfrosch herumstrahlten. Sie: Elise Zirngibel, gemeinsam auf der Scheibe dieser Weltstars. Sie musste sich setzen.

In Gedanken ging Elise noch einmal das ­Telefongespräch durch: «Frau Zirngibel – sie sind Präsidentin der Aktion: ‹Mehr Grünanlagen für Dackel!› Der Lokalsender möchten Sie zum Thema interviewen. Wäre Ihnen morgen recht…?»

Zuerst hatte es ihr einfach – peng! – die Sicherung durchgeknallt. Elise konnte nur stammeln: «Also eigentlich war es Lorlis Idee… Lorli Hämmerli. Sie hat drei Dackel… Rauhaar…»

«Um 14.00 Uhr», holte sie die Stimme zackig auf die Matte zurück…

Und da sass sie nun. Sie umarmte aufgewühlt Bobby, ihren Krummbeindackel. Und meldete sich im Geschäft krank («Es hat mich erwischt!») sowie gleichzeitig bei Carlo, ihrem Friseur an: «HEUTE NOCH… UNBEDING… ICH HABE MORGEN EINE FERNSEHSHOW!»

Natürlich informierte sie ihre Freundin Lore: «Du glaubst es nicht, Lore – ich komme im Fernsehen und …» «SIE HABEN MICH AUCH ANGERUFEN!», unterbrach Lore Hämmerli den Redeschwall gereizt «deinetwegen kann ich erst nach sechs Uhr zu Carlos für frische Mèches…»

DIESE DRECKSCHLEUDER!

«Machs gut!», konnte Elise nur noch flöten. Dann galoppierten ihre Gedanken: Typisch. Diese ­egomanische Schlampe wollte ihr die Show ­stehlen! In der Modeboutique Ladylike riet man Elise zu einem rehbraunen Kostüm. Dazu eine auberginefarbige Bluse von Max Mara: «Sie sind der elegante, sportliche Typ, Frau Zirngibel – das wollen wir vor der Kamera deutlich zeigen. ­Versuchen Sie sich beim Gespräch stets ein ­bisschen zu drehen. Das kommt gut rüber. Und wenn die dann einblenden, wo Sie sich ­einkleiden, kommen wir mit dem Preis gerne entgegen…» Elise lächelte: «Vielleicht bei der nächsten Show…» In ihrer Euphorie hatte sie sich ausgemalt, wie sie künftig mit einer ­unterhaltsamen Dackelserie «Krumm gelaufen!» die Samstage am Fernsehhimmel aufmischen würde. Drei Stunden vor dem Interview liess sich Elise in Giselas Verwandlungsstudio mit Abdeckfarben und Lidschatten restaurieren. Als die Kamerafrau dann vor der Türe stand, nickte sie anerkennend: «Perfekt … meine erste Frage: Wie sind Sie auf den Hund gekommen?»

Elise begann ihre Ausführungen bei den alten Ägyptern, die zwar schon Hunde gekannt, aber den Katzen den Vorzug gegeben hätten. Dann kam sie zu Nero und seiner Vorliebe für Molosser: «Er hat die Jagdhunde auch auf Menschen ­losgelassen und…»

Die Kamerafrau buckelte stöhnend die Kiste von der Schulter: «Frau Zirngibel… es geht hier um die Hundeanlagen für Dackel. Weshalb sollen Dackel solche Anlagen für sich alleine haben und…»

Elise war tüpiert. Sie hatte sich eine Nacht lang bei Google vorbereitet. Und diese Kuh wollte nur etwas über «Hundeanlagen für Dackel» wissen – aber bitte: «Dackel haben kurze Beine. Und in den meisten Anlagen steht das Gras für unsere ­kurzbeinigen Freunde viel zu hoch, seit der Staat beim Grasschneiden Zeit einsparen muss. Und…»

Leider musste auch der Lokalsender Zeit sparen. Und schnitt den Bericht auf 30 Sekunden. Während diesen zeigte man Lore Hämmerli in einem Blumen-Tailleur (Fendi) aus der Boutique Ladylike. Lore Hämmerli drehte sich langsam im Kreise. Und konnte lediglich mitteilen: «Hunde sind auch Menschen!»

DANN KAM WERBUNG.

Und keine Elise Zirngibel. Um es mit den Worten ihrer Dackel zu sagen: krumm gelaufen!

Montag, 11. April 2016