Fremdgegangen

Er war fremdgegangen.

SHIT. SHIT. SHIT.

Nun sass er am Frühstück. Weiss wie das Drei-Minuten-Ei. Und ebenso schweigsam.

«Etwas bedrückt ihn…», dachte Hildi.

Und schob Walter den Salzstreuer hin.

Sie wusste, dass er die Eikuppe immer mit Salz berieselte. Nur die Eikuppe.

Sie wusste alles über ihn.

Fast alles.

«Hast du wieder Magengrimmen…?» – sie nahm seine Hand. Und streichelte sie.

«Nein, Liebes – alles paletti», sagte er. Aber die Stimme war belegt. Und die Stimmung auch.

Nun lachte Hildi auf: «Ich kenne dich doch: Du hast gestern beim Jassen verloren. Stimmts?»

Stimmte nicht. Er hatte gewonnen. Und dies, obwohl Hugo sein Partner gewesen war.

Hugo war die absolute Niete in der Jassrunde. Aber gestern hatte er dies mehr als wettgemacht: dreimal vier Bauern!

Am Schluss feierten sie an der Bar: zwei, drei ­Bierchen.

Dort sass das Mädchen. «Studentin», hatte sie gesagt. Und dass sie Geld brauche. Deshalb schaffe sie an.

Es wurde dann das, was man gemeinhin einen flotten Dreier nennt.

Diesbezüglich war Walter Jungfrau. Hugo nicht. Die Jassniete hatte mit diesem Spiel überhaupt ganz grosse Erfahrung – und die Hand voller Trümpfe.

Walter blieb kein Stich.

«Es ist diese Grippe …», überlegte Hildi stumm. Anneliese hatte ihr gestern erzählt, die ganze Familie sei krank. Das Virus jage durch die Stadt.

Sie streichelte noch immer Walters Hand.

«ARMER ALTER WALTER!» – dachte sie. Und beschloss die Sache mit ihrem Geständnis zu ­verschieben.

Sie hatten zwar vor 38 Jahren am Altar ­geschworen, einander ehrlich immer alles zu erzählen. Aber ihr kleiner Fehltritt hätte Walter nur aufgeregt. Und Aufregungen waren bei Grippe des Teufels.

Am Mittag ging Walter in dieses Geschäft, wo Hildi diese verdammte Tasche gesehen hatte. DER PREIS WAR EIN SKANDAL! Und dies nur des berühmten Logos wegen.

«Alle haben doch so eine», hatte Hildi gemault.

«Alle» hiess hier: ihre Freundin Anneliese – eine richtige Tussi, die ihren faltigen Hals mit Label-­Schals zudeckte. Na ja.

Am Abend gabs Frikadellen.

Walter liebte Frikadellen. Und Hildi wusste das. So wie sie eben alles von Walter wusste.

Fast alles.

Mit den Frikadellen wollte sie ihr Geständnis dann abfedern. Und …

«Hildi – ich habe dir heute etwas gekauft!», lächelte er.

Als sie die elegante Tragtasche mit der Goldschrift sah, erschrak sie. «WALTER – ABER DOCH NICHT ETWA …?»

Sie packte den Inhalt nicht einmal aus. Sie weinte Rotz und Tränen. Dann schluchzte sie auf: «Ich muss dir ein Geständnis machen…»

Eine eisige Hand griff nach ihm. WER WAR DER SAUHUND?

Ihr koreanischer Yoga-Trainer? Oder – noch schlimmer! – Schwager Max, der seit einem Jahr als Witwer aufblühte?

Sie streichelte jetzt wieder seine Hand: «Ich habe gestern die Tasche gekauft. Heimlich. Ich wollte es dir heute Morgen beichten. Aber du sahst so krank aus und…»

Er nahm sie in die Arme. Dort weinte sie, bis ein kleiner Rauch aus der Küche Hildi alarmierte: «DIE FRIKADELLEN!» Als sie das Schwarze ­abgekratzt hatte und die Fleischküchlein ­servierte, schaute er sie liebevoll an: «Mein ­Lieblingsessen!» Hildi strahlte: «Ich kenne dich doch durch und durch…»

«Ja», strahlte er.

Und liess sie im Glauben.

Montag, 14. März 2016