Zigarren

Walter leckte an ihrem Bauch.

«WALTER!»

Natürlich. Hildi machte gleich auf lautstark.

«Ich machs doch immer so…»

Machte er. Schon ein halbes Leben lag.

Zuerst schnupperte er einige Sekunden an ihrem Bauch. Ihr einzigartiger Duft machte Walter irgendwie glücklich. Das Parfum trug ihn weg in eine andere Welt – die Welt des Luxus: mokka- braune Frauen (heiss). Ein Cocktail (kalt). Und Sex. Sex. Sex.

Die Wirklichkeit holte ihn sofort ein: ­Genossenschaftswohnung. Undefinierbarer Pilz am Badewannenrand.

Katzenkistchen mit arsch­rutschendem Kater. Und Ehefrau in Kuschel-Pantoffeln (unten). Und Lockenwicklern (oben).

KEIN SEX.

Hildi legte nun noch drei Phone zu: «In einer Welt, wo die Menschen hungern, dürsten und flüchten, sind solche Zigarren ein widerliches Ausrufe­zeichen von Ignoranz!»

«Aha».

«WAS AHA?»

Walter stöhnte. Seit Hildi in dieser «Bewegung für andere Werte» mitlief, lief zu Hause alles aus dem Ruder: Kein Fleisch vom toten Tier (auch keine Bettfedern). Statt Millionär-Fernsehquiz gabs jetzt ein Büchlein mit Bio-Bibelsprüchen «Wie retten wir unsere schöne Welt». Und Zigarren waren eh des Teufels, seit die WHO das Rauchen nun auch in jedem Film verbietet.

Natürlich dampfte Hildi beim modischen ­Raucherkampfdampf lauthals mit: «ZIGARREN MACHEN KLAR IMPOTENT. UND DU WILLST DOCH NICHT BIS AN DEIN LEBENSENDE IMPOTENT SEIN, WALTER…?»

Er hätte Hildi jetzt die Sache mit Clinton ­entgegenhalten können. Da war die Zigarre alles andere als impotent gewesen. Und überhaupt: Das Einzige, das heute noch an Clinton erinnert, ist jene Episode, die viel Rauch gemacht hat.

Walti dachte mit Neid an seinen Vater. Der durfte noch bedenkenlos drauflospaffen.

Natürlich hatte die Mutter immer wieder demonstrativ die Fenster aufgerissen: «HIMMEL – DIESE BRISAGOPRÜGEL STINKEN SCHLIMMER ALS VERBRANNTER ZIEGENMIST!»

Sie hatte sich dann auf die Couch gesetzt. Den Vater vorwurfsvoll angeblinzelt. Und sich selber mit dem eleganten «Klack» des Dupont-Feuerzeugs eine russische «Sobranje» angezündet. ­Rauchen war schon damals der Tod – totschick nämlich: goldener Mundspitz und schwarzer ­Filter. Wennschon. Dennschon.

Als Walter 20 wurde, hatte ihm Onkel Alphonse die erste Zigarre zugesteckt.

Alphonse war Vorarbeiter bei der Ciba. ­Farbenproduktion.

Er sackte einen der ersten und heissbegehrten dreizehnten Monatslöhne ein. Und verblies die Pinke auf elegante Art.

«Das ist eine CHURCHILL!» – hatte der Onkel dem jungen Walter die Zigarre in einem ledernen Etui entgegengestreckt. «Churchill hat schon im zweiten Burenkrieg mehr geraucht, als seine Kanonen. Und jetzt ist er 90!»

Der Onkel grinste: «…er hatte auch nie diese affigen Zigarrenschneider bei sich. Vergesslichkeit vermutlich. Die grossen Kämpfer haben Anderes im Sack. Und Wichtigeres im Kopf. ­DESHALB BISS SIR WINSTON IHR EINFACH DEN KOPF AB…»

«Auch vor der Königin?», wollte Walter ­wissen.

«Fragen hast du!», knurrte der Onkel.

«Walter» – versuchte es Hildi nun auf die gütige Art. «Ich habe nichts dagegen, wenn du dir hin und wieder so etwas ansteckst. ABER BITTE ZEIGE DICH DAMIT NICHT WIEDER AUF DER TERRASSE. Was sollen meine Partei­freundinnen denken…?»

«Ja Hildi», sagte er. Und schaute seine Frau an. Dann biss er der Zigarre grimmig den Kopf ab. Und hatte dabei seine ganz eigenen Träume…

Montag, 29. Februar 2016