Von dem Transport der lädierten Liesel und Arsen

Illustration: Rebekka Heeb

«Y muass mei Haxen hoch­laagern…», jammert Liesel.

Sie nervt, seit sie in Pisa den Boden geküsst hat.

RIESENTHEATER. STURZ. Aber nicht mal eine erfreuliche Schürfwunde.

Andere Menschen setzen sich arger Pein aus, um am Arm einen miesen Halloween-Kopf oder ein Herzchen tätowieren zu lassen.

KEINER PIEPST.

DAS SIND DIE WAHREN HELDEN DIESER ERDE.

Liesel läuft hier wegen ein bisschen Wehweh total aus dem Ruder. Was kümmert uns der Sturz dieser Secondhand-Sissi?

ES IST IHR PERSÖNLICHER FALL. MUSS SIE DESWEGEN IHR UMFELD IN DEN WAHNSINN JAMMERN?

«Wirf sie einfach ins Meer», habe ich Hubert vorgeschlagen. Er ist ihr Mann. Ein Waschlappen, wenn Ihr mich fragt. Dazu ist er auch Graf.

Ich habe ihn beim Milchmann irrtümlicherweise als Baron vorgestellt. Da hat er drei Tage nicht mehr mit mir reden wollen.

Weil: BARON IST NUN WIRKLICH JEDER. ABER GRAF – DAS KOMMT GLEICH NACH DEM KÖNIG – ICH MEINE: WIE SOLL UNSEREINS SOLCHE LEDERARSCH-NUANCEN DRAUF HABEN.

Ich habe ihm das dann auch klar vorgehustet: Bei uns kommt der Präsident des Männerchors vor dem Vorturner der Männerriege.

DAS SIND UNSERE EIDGENÖSSISCHEN HIERARCHIEN.

Hubert tut sich schwer damit, Liesel beim Hafen von Livorno dem Meer zu übergeben.

«Und wenn ein Haifisch kommt…», grient er.

«Um Liesel machen selbst die gefrässigsten Haie einen Bogen», entkräfte ich das Argument.

Hubert seufzt: «Ich bin ihr ergeben… das verstehst du nicht…»

NEIN – TU ICH NICHT!

Da kann man ja auch gleich ein Dioxinfass heiraten. MÄNNER SIND JA SO ETWAS VON BLÖD.

(Oder wie es meine liebe Haabi, in träfem Elsässer Dialekt beschrieben hat: «Wenn dr Schwonz stuht, isch dr Verstond am Arsch…» ) Pardon. Aber das ist dieser wunderbare Elsässer Dialekt!

Nun suchen wir also eine Stretch­limousine, die Liesel in horizontaler Lage auf die Insel karren kann.

«So ein Schlitten bleibt in unsern S-Kurven glatt stecken», winkt Innocent jammernd ab.

«WILLST DU, DASS ICH IN DEINEN KLEINEN KOTZWAGEN HOCKE. ICH MUSS FLACH LIEGEN», keift die Gefallene plötzlich in gestochenem Deutsch.

Klar, dass sie flach liegen will. Die horizontale Lage war eh Liesels Markenzeichen. Ich verkneife mir allerdings so eine Bemerkung. Im Gegensatz zu dieser gefallenen Schlampe bin ich nämlich von nobler Art … Deshalb: «Wir könnten dich mit dem Helikopter einfliegen lassen, liebe Liesel … deine persönliche Versicherung hat auch ‹Vieh­transport› drin.»

In letzter Not habe ich dann meinen Vetter Antonio angerufen. Der wohnt an diesem wunderbaren See, der nach dem Bohemien Puccini benannt worden ist. Und wo der Komponist immer wieder seine Flinte leergeschossen hat.

Antonio ist Vizepräsident des Vereins der freiwilligen Gutmenschen. Sie bringen alten Leuten an deren Geburtstagen Blumen ins Haus. Und sagen ellenlange Gedichte auf.

Die 100-jährigen Geburtstagskinder schnarchen dann in ihren Ohrenfauteuils nullkomma­plötzlich eine Runde. Sie hätten statt Blumen und Versen lieber einen Grappa oder neue Räder am Rollator gehabt. Aber so weit denkt der Gutmensch nicht.

Antonio also: «Die arme, liebe Frau… Soll ich ihr den Ambulanzwagen mit dem Sauerstoff­apparat schicken?»

«Nein. Aber mir eine Kurpackung Valium», antworte ich gereizt. «Wir brauchen ein Transportfahrzeug, wo die Nervensäge gestreckt auf die Insel gefahren werden kann!»

«Null Problem!», bellt Antonio in den Hörer. Zwei Stunden später fährt der offene Kleinlaster des Tomatenhändlers Augusto Rocchi vor. Statt Tomaten liegen zwei Matratzen auf dem Wagenboden. Und darauf liegt jetzt auch Liesel, die das Ganze von der abenteuerlichen Seite sieht: «Jesses Buaberln – jetzt reist s Lieserl im ­Kätschöp-Caprio…»

Gut. Humor hat sie. Das wollen wir gar nicht abstreiten. Aber sie drängte darauf, dass Innocent während der Fahrt von Pisa nach Grosseto ihre Hand halten soll. Und sich neben ihr auf die Matratze legt.

Ich habe die Sache auf meinem Handy videografiert – und unter «Alterspornopomodoro» bei Youtube eingeschickt.

Immerhin: 129 678-mal angeklickt! Und dreimal mit Daumen nach oben.

Seit Liesel nun auf der Insel ist, bin ich der Sklave ihres kranken Knies.

Ich lege Eisbeutel auf. Schleppe frisch gebrauten Eisenkrauttee mit Honig an. Und bediene die Dame wie im Film.

Ein «Vergelts Gott» kommt ihr nicht über die Lippen. Nur fiese Bemerkungen wie «Aber Buaberl, …dei Plattfuesserln sinn jo no platter ols unsre Palatschinken…»

KÖNNT IHR VERSTEHEN, WESHALB ICH IHR RHIZINUS IN DEN EISENKRAUTTEE MIXE…? Na also.

Immerhin: Hubert hat mir tief in die Augen geschaut. Und durch seine Porzellanprothese genuschelt: «Wenn y di vor der Liesel kennen­glernt hätt … aumei! Dös wär gwis was worden…» Ich schliesse die Augen – und habe das mir entgangene Schloss des Grafen vor den Linsen…

Ich sehe, wie die Gäste an unserer Benefiz-Gala für geschundene Pferde im Rosengarten vor mir einknicksen wie 100 000 VW-Aktien. Dabei küssen sie meine dezent lackierten Fussnägel…

Und: «Hobts noch Honigweggerln fürs orme kronke Waiberl…?», reissen mich Liesels Flötentöne aus all den adligen Träumen.

Ich rufe Innocent. Und erkundige mich, wo er das Arsen aufbewahrt…

Dienstag, 20. Oktober 2015