Vom Ausflug in Südtirol und der Butter aufs Brot

Illustration: Rebekka Heeb

«MUSST DU GLEICH EIN PFUND AUF DIESEN GIPFEL DRAUFBUTTERN?» Innocent schaut so entsetzt auf mein Cornetto, als würde ich mir ein Fussballstadion in den Mund schieben.

«Die haben doch schon Vanillecreme intus. DA BRAUCHTS NICHT AUCH NOCH BUTTER DRAUF. DENK MAL DRÜBER NACH…!»

So stiehlt mein Freund mir im späten Leben noch die Butter vom Brot. Und alles, weil er mich aufs Alter fit trimmen will. Dabei gehts ihm ­weniger um meine Gesundheit als um seinen Überlebensmodus: Seit er 80 geworden ist, misst er mir täglich den Bizeps und lässt mich 100 Kniebeugen hinlegen – ich bin das Versicherungspaket für seine 90er-Jahre. Mit anderen Worten: Wer sonst soll ihn an den Rollator führen?

Deshalb. «Von heute an leben wir gesund. Und sparsam. Schon meine Grosstante, die Kunigunde von Schmid, hat in den 30er-Jahren den Spruch geformt: ‹NICHTS IST TEURER ALS DAS ALTER!›

Das, was er mir als Kunigunde von Schmid präsentiert, war die Nichte einer Schwester seines Stiefgrossonkels. Eigentlich hiess sie Lenchen Hummel. Aber solche Namen existierten in Innocents Kreisen nicht. Also hat ein stadtbekannter Familienchronist aus Lenchen Hummel eine «von und zu» gemacht. Kostenpunkt: 50 000 auf die Kralle und eine Kiste Partagas.

Wir sitzen in unserm Meraner Hotel. Um uns herum: viele gut gelaunte Wespen. So fühle ich mich in meiner Vanille-Gipfel-Gier nicht so einsam. Die Wespen sind das einzige Gutgelaunte. Die Kellner sind stinkig, weil ihnen seit der Wirtschaftskrise keiner mehr die Hände salbt.

Die Hotelbesitzerin ist säuerlich, weil eine Wandergruppe aus Wuppertal im letzten Moment alle Zimmer storniert und bei der Konkurrenz gebucht hat. Grund: Dort ist eine hawaiianische Lomi-Lomi-Massage im Preispaket inbegriffen.

Auch die Gäste hocken mürrisch vor ihren ­Tellern. Sie müeseln Müesli. Und speicheln Äpfel ein. Es ist eine Herde Asketen in schlabbrigen Shorts, klobigen Bergschuhen und zopfmusterigen Wander­socken. Ihre Gesichter sind verhutzelt wie Dörr­zwetschgen. Stellt man diese Wander­skelette neben eine ägyptische Mumie, gewinnt Letztere den Schönheitswettbewerb.

Die verwunderten Wanderer schauen mir also mit offenem Mund zu, wie ich auch das dritte Vanille-­Hörnchen mit dem Klacks Butter drauf reinzwitschere. Ich lecke mir die Finger ab und tätschle provozierend meine Wangen. Die sind nämlich saftig. Und prall.

WER MÖCHTE SCHON GERNE BEI EINEM SCHRUMPFAPFEL ZUBEISSEN? EBEN.

Innocent steckt sich noch drei Birnen, eine Banane und vier Aprikosen ein («die sind schliesslich inbegriffen»). Er sieht nun aus wie der weisse Clown im Zirkus, dem auch immer die Hosen auf Sackhöhe rausstehen.

«Ich verzieh mich an den Pool», gebe ich mein Tagespensum durch. Doch Innocent wedelt mit zwei Tickets: «NIX POOL! Die sind für den Bus. Der fährt uns zum Schloss Thurnstein. Dort gibts einen prächtigen Spazierweg. Ich habe bereits mit dem Herrn Hans gesprochen. Er leiht uns Geh­stöcke …» Herr Hans ist Concierge und die Seele des Hauses. Manche munkeln, dass er auch etwas mehr sei. Doch irgendwie müssen die drei ledigen Schwestern, die den Kasten führen, ja auch mit ihrem Hormonhaushalt über die Runde kommen. Sie sind potthässlich. Da können auch die Dirndls, in die sie das Magere stecken, nichts aufrüschen.

Herr Hans also hält uns Stöcke entgegen und meint, dass der öffentliche Bus vielleicht gar arg voll sei. Ob die Herrschaften nicht einen Wagen nehmen wollten…

ÖFFENTLICHER BUS? …PROPPEVOLL…? JA BIN ICH DA IM PENDLER NACH ZÜRICH? FÜR SO ETWAS KOMME ICH NICHT NACH SÜDTIROL!

Innocent bringt mal wieder den von der ­Trämlerstochter. Und ich soll froh sein, dass er mich von den Fahrten auf dem Velosolex erlöst habe.

Im Bus sieht es aus, als ginge ein Heer in den Krieg. Hat Herr Hans nicht WANDERWEG gesagt? Hier sind alle ausgerüstet, als gelte es, den Kilimandscharo zu bezwingen: Kleine Kinder tragen Rucksäcke so gigantisch wie vier Fertighäuser. Mütter setzen sich nach jeder Bus-Kurve stöhnend die Wasserflasche an den Mund. Und die Männer breiten wichtigtuerisch Kompass sowie Wanderkarten über Sitze und Familie aus. DABEI IST DER TAPPEINERWEG GAR NICHT ZU VERFEHLEN. ES GIBT NÄMLICH NUR DIESEN.

Der Buschauffeur freut sich über jeden aus­ländischen Mercedes, der ihm auf der Passstrasse entgegenschleicht. Die Fahrer aber werden leichenblass, weil sie jetzt rückwärts zurückkurven ­müssen. UND WIE KURVEN! ABER HALLO! Endlich finden sie ein Eckchen, wo die Luxusschüssel an die Felswand gepresst wird – und der Bus­fahrer zieht mit herzhaftem Gähnen an den ­Blechkarossen vorbei.

«…und dies alles für einen Euro zehn!», jubelt Innocent, «ich meine, da glauben wir immer, wir hätten das preiswerteste ÖVAU der Welt erfunden. Und jetzt schau dir mal diesen Bus und diese ­Kurven an. EINEUROZEHN! Was sagst du da?!»

(Ich sagte nichts. Ich kotzte bereits über eine Wanderkarte und einem brüllenden Mädchen den halben Rucksack voll…)

Der Einstieg zum Wanderweg ist mit einem blumengeschmückten Bogen gekennzeichnet: «WILLKOMMEN… BENVENUTO… WELCOME!»

Vor dem Bogen stehen die Leute Schlange wie vor der Basler Kasse zum Champions-League-Spiel, so es denn eines gäbe.

Tausende drängen sich auf dem Wanderweg – Herr Hans hat jedem von ihnen den Tipp gegeben. Es ist wie das Pilgern nach Mekka. Nur ist Mekka hier das Schlosshotel mit dem besten Zwetschgendatschis von Südtirol.

«Hats gepasst?», fragt Herr Hans später, wie wir ihm nach Sonnenuntergang unsere Stöcke abgeben.

NATÜRLICH WAR DER POOL JETZT GESCHLOSSEN!

Einziger Trost: Bald gibts ­Frühstück. Und viel Butter aufs Vanille-Hörnchen…

Dienstag, 22. September 2015