Von den Damen, die es nicht mehr gibt

Illustration: Rebekka Heeb

«Es gibt keine Damen!» Mein Chefredaktor hat das so gesehen. Er strich das Wort rot durch. Und machte ein Aus­rufezeichen hinter «Dame».

Nun ja: dämlich!

In einem halben Jahrhundert Journalismus kommen Chefredaktoren. Und gehen Chefredakoren. Ich habe über ein Dutzend überlebt.

Und um es mit einem Bonmot der Queen zu sagen: «They came and went away – like warm föhn-winds. The result was always a headache!»

Sie sprach da von ihren Premierministern. Und sie sagte tatsächlich «warm föhn-winds». Vermutlich hatte der preussische Begatter an ihrer Seite ihr so was ins Vokabular gehustet.

ABER – wir winden wieder mal vom Thema weg: Also – KEINE DAMEN MEHR.

Keine Ladys. «Madame» hat ausgedient. Und die letzte italienische Signora wurde von Gianna Nannini in den 1980ern endgültig in die Gruft gesungen – dies mit dem Aufschrei: «Non sono una Signora!»

Ich kaute den dritten Kugelschreiber durch:

«… was ist die Alternative zur Dame?»

Der Chefredaktor hat mich mit seinen stets melancholischen, braunen Bambi-Augen angeschaut: «Frauen. Es sind heute Frauen …»

Und dann seufzte er leise – diesen Seufzer, den auch meine Grossmutter losgelassen hätte, wenn ihr ein Kellner den Stuhl nicht zurechtrücken wollte – denn meine Grossmutter war eine Dame.

Heute werfen die Frauen den Rucksack auf den nächsten Stuhl. Winken die gestresste Kellnerin (aus Kosovo) herbei. Und geben die Wunschliste durch: «Orangensaft. Frischgepresst. Aber ohne Eiswürfel drin. Und mit zwei Minzen­blättern …» Die arme Frau mit der Kurzaufenthalts-Bewilligung und ihren ausgelatschten Sandalen wirft einen Blick zum Himmel: «Madonna!»

JAWOHL – die war noch eine Dame. Im Damensattel ritt die Himmlische elegant auf dem Esel. Und für alle Könige, die sie besuchten, hatte sie einen kleinen, aufmunternden Scherz bereit: «Meine Herren, legen Sie doch bitte das Gold dort hinten bei der Krippe ab. Oder transferieren Sie es gleich auf eine Schweizer Bank. In und auf SEINEN Namen …»

Dann servierte Maria den drei Weisen aus dem Morgenland warmen Tee: «Bitte entschuldigen Sie, aber der Kühlschrank ist ausgestiegen. Und die Cola warm wie das Badewasser der guten, alten Kleopatra …»

DAS IST ES, WAS ICH UNTER EINER «DAME» VERSTEHE.

Es hat nichts mit Reichtum oder einem Dom-Pérignon-Cüpli zu tun. Auch nicht mit dem Problem, ob eine über oder unter dem Stand geheiratet hat – ich meine: Die Mutter Gottes war ja nicht einmal offiziell die Frau des Hoblers. Kein Ring und so. Und dann noch in diesen Umständen.

ABER SIE WAR EINE LADY. UND SIE WUSSTE, WAS SICH GEHÖRT – AUCH IM STALL!

«Römische Minze in den Saft, keinesfalls marokkanische …», geifert die jüngere Rucksack-Dame hinter Andolina her. In mir wallt das Mitleid mit der armen Kellnerin. Sie kommt aus einem Land, wo man die Orangen schmatzend aussaugt. UND HIER DIESES THEATER! Ihr gestreckter Stinke-finger unter der weissen Service-Serviette hat meine volle Zustimmung.

«… UND WAS IST DIE DAMEN-ALTERNATIVE?!», habe ich damals beim Bambi-Augen-Boss nachgehakt. Natürlich ist er prompt mit einer Gegenfrage ins Duell gestiegen. Wie Politiker. Wenn die nicht weiter­wissen, lernen sie in Schlaumeiers Medien-Seminar: «GEGENFRAGE STELLEN. UND TRIUMPHIEREND IN DIE KAMERA SCHAUEN…»

«Meine Grossmutter war eine Dame», sage ich eiskalt.

Er hat sie nicht gekannt. Und ­deshalb habe ich Oberwasser. Er kann es sich nämlich nicht ­leisten, die Omi als Lady schlecht­zumachen…

«Aha», sagte er nur. Und seine Augen tränten wie die der abgeschossenen Bambi-Mutter in der letzten Disney-Sequenz.

«Ja. Sie wäre beispielshalber nie ohne Hut aus dem Haus gegangen. Ihre Handschuhe mussten hand­genäht sein und zu den Pumps passen. Als Schmuck trug sie eine Reihe mit Perlen, wovon allerdings jede eine kleinere Mondfahrt gekostet hatte. Und…»

Jetzt schauten die Bambi- Augen plötzlich listig, wie der Politiker, der gleich ein Ass durchschlagen wird: «Ich dachte, deine liebe Omi habe im Kino Union die Reihen geputzt…?»

O. k. Dieser Punkt ging an ihn. Aber ich gab ihm noch einen Schuss Saures: «Man kann auch mit Gummihandschuhen eine Lady sein…»

UND DANN SAGTE ICH DAS, WAS AUCH DIE OMI MIR IMMER WIEDER EINGEPFLASTERT HAT: «ARBEITEN IST KEINE SCHANDE – AUCH NICHT FÜR EINE LADY!»

Zurück zur Rucksack-Schlampe. Es setzt sich eine nette, ältere Frau dazu. Pillböxchen auf dem Kurzhaar. Das schwarze Tailleur in Erinnerung an Chanel. Und eine goldene Panzerkette am hühnerigen Hals. Die Frau zupft die Kalbslederhandschuhe von den Fingern. Dann streichelt sie dem Rucksack-Vis-à-vis über das Gesicht, in dem sich Akne wie ein Buschbrand verbreitet: «Ach Louise, wie siehst du denn wieder aus. Dieser grobmaschige Strickpullover ist viel zu dick für diesen heissen Sommer … dein Zopfband steht vor Dreck … und du musst mir schon verzeihen: Dein Deo hat dich im Stich gelassen...»

«FUCK YOU! Und nenn mich nicht Louise!», geifert die Tochter. «Ich bin Lou … geht das nicht in deinen verdammten Schädel?»

Die Mutter lächelt nur sanft. Und nickt freundlich zu Andolina, welche mit dem elektronischen Bestellapparat an den Tisch kommt: «Für mich bitteschön einen Schwarztee...»

Sie strahlt die Servierfrau an: «Und wenn es möglich wäre, mit etwas kalter Milch…»

«Ja klar», sagt Andolina. Sie bringt den Tee und das Milchkännchen samt einem Tellerchen, auf dem drei Biscuits liegen.

«Weshalb bekommt die hier ein Extra-Gudi?», ereifert sich nun der miefige Grobmaschenpulli. «Unsereins ist wohl zu wenig für so was…?!»

Die kosovarische Servierfrau wächst jetzt um fünf Zentimeter. Dann erwidert sie eisig: «Die Frau hier ist eine Dame...»

Und ich würde sie am liebsten heiraten.

P.S.: Leider hat mein Chefredaktor bereits wieder gewechselt. Sonst hätte ich ihm diese Geschichte hier genüsslich unter die Nase ge(sch)rieben.

Dienstag, 21. Juli 2015