Von Herrn Calli und einer Autofahrt nach Zürich

Illustration Rebekka Heeb

Es kam unerwartet. Ein böser Schlag.

PENG.

Da lag ich flach.

Das Kriminellste in den vergangenen Wochen war diese Killergrippe, die jeden von hinten anfiel: Kribbeln im Rücken. Lungen, die pfeifen wie 30 schlechtgestimmte ­Piccolos. Rückenschmerzen. DAZU EIN HUSTEN, DER DURCH DIE WOHNUNG BELLT, ALS MÜSSE DER HUND VON BASKERVILLE SEIT DREI STUNDEN GASSI GEHEN.

Und Kopfschmerzen.

Bei jedem Hustenanfall, explodiert irgend­etwas in deinen Hirnzellen. Du schaffst es gerade noch aufs Bett.

UND TUST DIR SELBER LEID.

Die andern tun gar nichts. Mitleid ist ein Fremdwort. Sie verriegeln deine Schlafzimmertüre. Und brüllen: «BLEIB MIR MIT DIESER ­VERDAMMTEN GRIPPE VOM HALS. ICH KANN MIR NICHT LEISTEN, MEINE FITNESS- STUNDEN ZU SCHWÄNZEN!»

Das war mein fitter Vetter.

Innocent schleicht eh schon mit Mundschutz durchs Haus – das heisst: Er schützt den Mund, wenn dort nicht der Fiebermesser steckt. Und der steckt alle zehn Minuten. «… ein halbes Grad mehr!», höre ich es dann hinter der Türe jammern.

Und beide lamentieren laut: «WESHALB HAST DU DICH NICHT GEIMPFT? JETZT HAST DU UNS ALLE ANGESTECKT!»

Also erstens: Ich habe eine Grippe-Impfung bekommen. Mein netter Arzt, der ganz nebenbei auch noch der Fussballmannschaft unseres ­Stadtclubs Eiswickel an die müden Prallschenkel drapiert, mein Doktor Felix also hat nämlich den Zeigefinger geschwungen: «In deinem Alter muss man sich gegen Grippe impfen. Also kremple mal den Ärmel hoch.»

Ich tippe nun – mit einem Schritt bereits auf dem Weg in eine andere Welt – seine Notruf­nummer ein. Er geht sofort ran: «Ich bin da an einem Trainingsspiel, machs knapp!»

«WESHALB GRIPPE ICH SO SCHRECKLICH DAHIN, WENN ICH DOCH EINE ANTI-GRIPPE­IMPFUNG INTUS HABE?»

Stille. Dann: «Es gibt eben viele Arten von Grippe – und die war nicht im Antipaket. Ich muss jetzt; der Marco hat einen Ball an den Sack bekommen.»

ER WEISS, DASS ER DA AUF MEIN ­MITGEFÜHL ZÄHLEN KANN.

Das Allerschlimmste: Ich habe ein Rendez-­vous. Eigentlich: einen Termin für ein Interview. Und zwar in der Zürcher «Kronenhalle»: WAM – das ist Walter Andreas Müller – will mir von seinem Leben erzählen. UND SEIN LEBEN IST EINE OPER, doch die übersteht man nicht mit 39,2 Grad Fieber (mittlerweilen!).

NEIN – VERSETZEN GEHT NICHT!

IN UNSEREM BERUF BEKOMMT MAN DA GLEICH MAL DEN SCHLECHTEN RUF VON «ZICKIG» WEG.

Also grabe ich im Apothekerkistchen nach ­Effizientem. Lass es brausen und zischen. Und gebe meinem Organismus so viel Speed, dass ich dem vorbei­fliegenden EasyJet-Flugzeug mit einer Handvoll Vogelfutter zuwinke.

«DU GEHST NICHT AUS DEM HAUS!», brüllt Innocent hinter der geschlossenen Türe.

«FICK MICH!», huste ich zurück. Wie gesagt: Man lässt nicht folgenlos zehn C-VITAMIN­TABLETTEN Blasen blasen.

NATÜRLICH KANN ICH NICHT MIT DEM ZUG.

Das dann doch nicht.

ICH MEINE: WIR KENNEN JA UNSERE ÜBERFÜLLTEN WAGONS. UND ICH HUSTE DORT JEDEN AN DIE WAND. Nein. Es gibt so etwas wie Verantwortung gegenüber dem Nächsten.

«Wenn schh ZÜRISCHHH fähhhrsch, sind wir geschieeeeden!», poltert Innocent nun an die Türe. MIT DEM FIEBERMESSER IM MUND SPRICHT ER WIE EIN SCHWEIZER FERNSEHMODERATOR – KEINE SILBE ZU VERSTEHEN!

Ich rufe ein Taxiunternehmen an: «Was kostet ein Auto mit Chauffeur nach Zürich und zurück?»

Stille. Und ein Knall hinter meiner Schlaf­zimmerüte: INNOCENT HAT GELAUSCHT. NUN IST ER IN OHNMACHT GEFALLEN!

«Ihr Chauffeur ist Grieche. Er heisst Callistus. Sie dürfen ihn Herr Calli nennen», bekomme ich Direktiven.

Dann die Preisansage.

DIESMAL LIEGE ICH IM KOMA.

Eine Stunde später fährt der Grieche, den ich Herr Calli ­nennen darf, mit einem rosa Wagen vor. Auf dem Auto steht KULTURPROGRAMM. Und SRF 2.

Ich weiss nicht, was er für diese Werbung bekommt – jedenfalls dröhnt im Innern des Autos eine Band, welche sich «Die toten Hosen» nennt.

STATT PUNKROCK WÄRE MIR EIN PUNCH-GROG LIEBER.

Aber Herr Calli brettert schon los: «Stört Sie schönes Musik?»

«Ich bin krank!», flüstere ich, «bitte Erbarmen!»

Wir sind noch nicht mal in Rheinfelden, wie der rosige Schlitten die Autobahn verlässt. Und vor einem kleinen Laden hält: «Ist meines Tante Chariklia … heisst Tante Freude in Deutsches … von Chara: Freude!»

Tante Freude rührte goldenen Honig in ein griechisches Joghurt. Und gab nicht locker, bis ich alles intus hatte: «Gibt Kraft für altes Mann.»

ALTER MANN? – EIN CHARMANTER FREUDESPENDER, DIESE JOGHURT-TANTE!

Bei Brugg kam dann die ganze Freude wieder raus. Und Herr Calli fluchte, weil er nun ein neues Duft-Tännchen aufhängen und die Polster frisch hoovern musste.

«Ich muss die Zähne putzen – so kann ich nicht mit Herrn WAM!», jammerte ich.

Also fuhren wir auf einen Lastwagen-Parkplatz. Auf der Toilette standen bärtige Männer mit Bierbäuchen herum und rasierten ihre Glatzen. Die Gesichtsbärte liessen sie stehen – aber oben wurde auf Teufel komm raus geschabt und gekratzt.

Also: «Sorry, Herrschaften – ich muss mal die Zähnchen aufpolieren.»

«HUCH!», machte so ein wilder mit einem Bauch der gut und gerne als XXL-Anhänger durchging. «Darf ich der pink Lady von meinem Sliwowitz für die Mundspülung anbieten?»

So wurde es ganz lustig, bis mich Herr Calli einpackte und ich stockbesoffen bei der «Kronenhalle» in Zürich vorgefahren wurde.

Der Chauffeur reichte mir ein Feuchttüchlein, das – so hoffte ich – noch ungebraucht war. «Wischen Kopf … ist alles Reste mit Honigjoghurt von Tante Freude.»

Ich rüschte mich so gut auf, wie es eben ging. Und betrat das Lokal mit den alten Bildern und der noch älteren Kundschaft: «ZU HERRN WAM, BITTE!»

Der Oberkellner wedelte freundlich mit einer weissen Serviette, als wäre er Lumpi und ich die Wurst: «HERR WAM HAT VOR FÜNF MINUTEN ANGERUFEN – MUSS SICH LEIDER ENTSCHULDIGEN. DER ARME LIEGT MIT GRIPPE IM BETT!»

Auf dem Heimweg murmelte ich zum Fahrer: «Was heisst eigentlich Callistus?»

Er grinste in den Rückspiegel. «Kommen von ‹kallistos› – heisst griechisch ‹am schönsten›!»

So war es doch ein schöner Tag.

Dienstag, 3. März 2015