Vom Fluch, Weihnachtsprosa schreiben zu müssen

Illustration Rebekka Heeb

Ich liebe Weihnachtsgeschichten.

ABER ICH HASSE DIE SCHREIBEREI, DIE DAMIT VERBUNDEN IST!

Das kommt so: Wenn ich im Hitzesommer auf der Insel hocke, wenn meine Tomaten an den Stauden wie schrumplige Bäckchen von ungelifteten Omis vertrocknen, wenn das einzig Kühle noch eine coole Cola ist, also dann holt mich bestimmt ein Telefon in die verschneite Wirklichkeit zurück: «Hallihallo… es ist wieder so weit… in 5 Monaten rieselt der Schnee…»

BEI DENEN RIESELT DER KALK. Aber es sind Zeitschriften-Redaktoren, die für ihre Weihnachtsnummern irgend eine Schnulze brauchen – deshalb: «WIR MÜSSEN IHRE ZUCKERSCHWARTE NOCH KORRIGIEREN. UND EINE ZEICHNUNG DAZUSTELLEN. ALSO GEBEN SIE SCHON MAL GAS – UND SPÄTESTENS AM 1. AUGUST IHR MANUS AB!»

Halleluja!

Ich fluche die Tonleiter runter. Und Innocent winkt aus dem Bassin: «WASISS? – BIST DU SCHLECHT DRAUF?! IN DER BISCUIT-DOSE HATS CANTUCCI!»

Nun denn – ich schliesse mich im Eiskasten ein, beisse auf die steinharten Cantucci. Und stelle mir vor, es seien Oma Heinis «Dootebainli», die sie immer auf Weihnachten hin backte.

Ich weiss nicht, wie ein aufrichtiger Schreiber es verdient hat, dass der Schweizer Journalismus ihn in folgende drei Schubladen ablegt: schwul… ­Weihnachten… Horrorrezepte!

Googeln Sie das mal mit dem Zusatz «Basel» und «Stadtoriginal».

DINGDONG.

189 236 TREFFER!

Schon als Kind hat man mir Weihnachten mit Klichee-Vorstellungen vermiest. ­Während nette, unschuldige Büblein in den ersten 50er-Jahren an einer Blockflöte rumnuggelten und «Ihr Kinderlein kommet» unter den Baumkerzchen runterrapsten, hiess es: «Das Kind ist unmusikalisch. Aber begabt fürs Drama!»

Meine ehrgeizige Mutter sah in mir bereits einen zweiten Hans Albers – nur weil die Kindergarten-Tante (heute würde man vom Kita-­Vorstand reden) ihr zugeflüstert hatte: «Keiner spielt den Engel der Verkündung dramatischer als Ihr Kleiner!»

DAS WAR DOCH MAL ETWAS!

Wenn sie schon beim Trämler daneben ge­­griffen hatte, wollte sie zumindest das Kind zu einem Volksschauspieler hochfrisieren. Schlimmstenfalls konnte er immer noch Staatspräsident oder Priester werden.

Während ich also sehnsüchtig zum phallischen Instrument schaute, auf dem meine Schwester Rosie wie ein Kaninchen an der Rübe rumnagte, zückte die verblendete Mutter im Bücherschrank ein Bändchen, das den verheissungsvollen Titel «MER SAAGE-N-UFF!» trug.

Das Büchlein sagte «MER». Aber natürlich blieb die ganze Sauce an mir hängen. ICH war der Aufsager. Und Mutter nur die Zubläserin sowie die Geschwindigkeits-Kommandostelle: «Lang­samer Bubi, schön mit Gefühl…»

In meinem Kopf jagten die Ganglien. Und Zusammenhängendes brachten sie mir nur Nada Nada Nada.

Schon kam auch der frustrierte Seufzer ­meiner Eislaufmutti vor der Festgemeinde: ­«Gestern hat er es noch so gut gekonnt!»

Sie schickte als Ersatz die Nager-Rosie mit der Flöte vor den Ast. Und natürlich düüdelte die jetzt «Kommet ihr Hirten» fehlerfrei. Das fiese Biest hob beim aufbrausenden Applaus beschwichtigend die Hände – eine Geste, die sie von Marika Röck abgeschaut hatte.

Ob an Geburtstagen, Hochzeiten oder ­Beerdigungen – «Mer saage-n-uff» hatte immer die richtigen Reime. Mutter schickte mich vor, derweil Rosie gelangweilt an ihrer Flöte saugte und mir dann mit einem flotten «Der lustige Landmann» die Schau stahl.

DAS WAR DER MOMENT, DA MEIN HASS AUF WEIHNACHTSGEDICHTE REIFTE UND SICH MEINE GIER NACH DEM BLASINSTRUMENT INS UNDEFINIERBARE STEIGERTE!

20 Jahre später ging ich vom Gereimten auf Prosa über – von «aktiv» ins «passiv». Das heisst: Ich trug keine Gedichte mehr vor. Sondern liess vortragen – und zwar meine eigenen Weihnachtsgeschichten.

Ich war mittlerweile bestandener Onkel von fünfjährigen Nichten und Neffen. DIE SOLLTEN MIR NICHT MIT DER BLOCKFLÖTE UNTER DEN BAUM KOMMEN! DENEN DRÜCKTE ICH MEINE GESCHICHTEN IN DIE HÄNDE. UND SIE HATTEN DIE IN PERFEKTEM DEUTSCH ZU REZITIEREN.

Nach den ersten drei Zeilen schnarchte die Familie im Kanon. Nur die Kinder fanden es «geil», weil ich sie mit Tonnen von Schokomäusen belohnte.

Als dann eine Schweizer Illustrierte bei uns zu Hause anrief, ob ich ihr einen Artikel zum Thema «Schwul in den 50er-Jahren» schreiben könnte, bellte meine gute Mutti in den Höhrer: «Das fehlte gerade noch! Er kann nur Weihnachtsgeschichten!»

UND DAMIT WURDE ICH ERSTMALS UNTER: «WEIHNACHTSGESCHICHTEN? – HERR MINU WIRD’S RICHTEN!» ins Klichee-Fach der Medien abgelegt.

Heute habe ich gut ein Drittel des Jahres mit dem Heraussaugen von Weihnachtsgeschichten zu tun. HERAUSSAUGEN – VERSTEHT SICH ­FOLGENDERMASSEN: Man sitzt an der Tastatur, nimmt die dicken Finger in den Mund und versucht die Geschichte aus diesen herauszusaugen.

Noch nie wäre es irgend einem Redaktor in den Sinn gekommen, bei mir einen Bericht über die Premiere von «Parsifal» zu bestellen. Als einstiger «dritter Knabe» in der «Zauberflöte» unter der hervorragenden Regie eines Herrn Schramm am Basler Stadttheater wäre ich zu so etwas geradezu prädestiniert. UND AUCH KOMPETENT – jedenfalls kompetenter als mancher Opernkritiker, ­dessen einzige musikalische Referenz sein eigener eingeklemmter Furz ist.

Zurück zu den Weihnachtsgeschichten.

Es ist Ende Juli. Die Kinder am Strand schreien sich die Lungen aus dem Hals. Der Sand brennt unter den Fusssohlen. Und du schwitzt Wasserfälle.

Du versuchst in eine andere Welt abzudriften… auf eine andere Galaxis, wo Eisblumen ­blühen und Schneewinde wehen. Aber dann taucht Herr Innocent pudelnass aus dem Bad auf. Rubbelt seinen weihnachtskugeligen Bauch ­trocken. Und strahlt: «So ein Schwumm ist bei dieser Affenhitze wie Weihnachten… hast du die Geschichte fertig?»

Wie viel einfacher haben es die mit der Blockflöte…

Dienstag, 16. Dezember 2014