Von einer Telefon-Katastrophe und Damensitz

Illustration: Rebekka Heeb

JAMMERTAL. Ich schaue das Telefon verzweifelt an. Ich schüttle die Mickey Mouse, die den Hörer abgibt. Dann werfe ich auch das Küchentelefon an die Wand. NICHTS. Kein Summen. Kein Brummen. TOTE HOSE. UND DIE TOTALE STILLE. SO MUSS DIE WELT SEIN, WENN SIE UNTERGEGANGEN IST.

Ich wollte mir ein Taxi bestellen. Das geht in Rom noch relativ einfach. Natürlich nur solange keine Rushhour ist. Oder keine trillerpfeifende Manifestation der Gewerkschaft den Alltag lähmt. Oder der Papst nicht gerade eine Händeschüttelrunde dreht. Oder irgendjemand im öffentlichen Verkehr streikt. ODER ES REGNET! Wenns regnet, streikt alles. AUCH MEIN TAXI. UND JETZT EBEN MEIN TELEFON!

Für einen kleinen Moment bleibt die Zeit stehen. Nur kurz. Denn ein Leben ohne Telefon ist wie ein Leben ohne Apotheker Zeitung. UNMÖGLICH.

Gottlob gibts ja noch das Handy. Also rufe ich über das Handy die römische Taxizentrale an. Es hat nur eine Taxizentrale in Rom. Menschenrechtsorganisationen und Touristeninfos raten von den «wilden Fahrern», welche dich am Flughafen oder am Bahnhof in zerknitterten Leinenanzügen flüsternd anbaggern, dringend («Taxi … Taxi … good driver …») ab.

Deshalb also Telefon über Handy zur monopolisierten Zentrale. Und natürlich bist du da in der Warteschlange. Musikgedüdel. Sonore Stimme: «… Ihr Operatore wird Sie gleich befriedigen … haben Sie noch einen Moment Geduld …»

ES IST WIE DAS HINAUSZÖGERN BEIM VORSPIEL. NUR KOMMT ES HIER NIE ZUM HÖHEPUNKT. DENN DIESE OPERATORENPFEIFE NIMMT ERST GAR NICHT AB. ER HAT DEINE AUSLÄNDISCHE HANDYNUMMER ERKANNT. UND IHR SEINEN STINKEFINGER ENTGEGENGESTRECKT. Schweizer Telefonnummern sind in Italien so beliebt wie die Stacheln einer Kaktusfeige.

Ich renne heulend in den Innenhof, wo mich die ersten Herbstregen-Bäche fast wegspülen. Mimma hat sich bei der Wasseruhr untergestellt. Ich frage mich, weshalb wir in unserem alten Palazzo eine über hundert Jahre alte Wasseruhr haben, wenn sie auch bei Regen nicht tickt. Was macht das für einen Sinn? Einfach nur herumstehen wie ein italienischer Verkehrspolizist? Wie so vieles in diesem schönen Land ist die Uhr reine Schönmache und ein abgelaufener Erinnerungsruf an jene Zeit, als alles besser und Umberto noch König war.

«ES IST EINE KATASTROPHE», wate ich durch die Bäche zu Mimma, «MEIN TELEFON GEHT NICHT …»

«Was du auch immer hast», seufzt Mimma. Und trocknet sich das Gesicht mit dem Putzlappen ab, «… ich bringe dich mit der Vespa zum Bahnhof …»

Natürlich sind wir nie angekommen. Der Regenstrom spülte uns wie Nüsse die Via Nazionale hinunter. Und direkt in eine sizilianische Konditorei. Das Schicksal hält in allem Traurigen immer wieder eine süsse Überraschung bereit …

Nach dem dritten Törtchen rief ich meinen Wohnungsverwalter an: «SKANDAL! – KEIN TELEFON … KEIN LEBEN! WOFÜR HONORIERE ICH SIE? TUN SIE GEFÄLLIGST ETWAS, MISTER!» Er wollte als Erstes wissen, ob ich alle Hörer richtig aufgehängt hätte. JA BIN ICH DENN BLÖD?!

Okay – beim letzten Mal lag einer daneben, aber auch nur, weil ich beim Gespräch mit Huberta von Mimma gestört wurde. Sie klingelte Alarm und stand mit einem Stück Ciambellone an der Türe. Es ist der einzige Kuchen, den meine Putzerin kann. Und ich muss sagen: Auch der ist ungeniessbar. Sie spart an Zucker. Und nimmt Joghurt statt Butter. Ich könnte somit auch einen Schluck Wasser anbeissen.

UND DAMIT WÄREN WIR WIEDER BEIM THEMA: Ich tropfe also in dieser Pasticceria sämtliche Zuckerkuchen weich. Und versuche über mein ebenfalls tropfendes Handy den Verwalter auf Trab zu bringen: «Ohne Telefon bin ich verloren … AUSGEHAUCHTES LEBEN! … nicht einmal ein Taxi bekommt man … und jetzt ziehen Sie schon endlich den Finger raus!» Er versprach sein Möglichstes. Was immer das auch sein mochte.

Es ist natürlich total schräg: So hyperventilieren wir wegen eines toten Telefons gleich in Panik und um uns herum explodiert die Welt. Jeder jagt jeden in die Luft. Was ist dagegen schon kein Summton?! Ich kann mich erinnern, dass wir als ganz junge Familie überhaupt kein Telefon besassen. Die Hubers im vierten Stock hatten eins. Und wenn uns jemand anrief, wählten sie die Nummer der Hubers: «Könnten Sie mal die Hammels ans Telefon rufen …?»

Frau Huber klopfte dann mit einer Gabel rhythmisch immer drei Mal an die Gasleitung. Rhythmisch vier Mal wären die Schneblis gewesen. Aber bei drei Mal jagte meine Mutter ihren Alten vom Bier weg: «Hans, geh mal rauf zu Hubers. Nimmt mich nur wunder, wer uns um Mitternacht noch anruft.» Die Hubers bekamen zu Weihnachten immer einen selbst gebackenen Kugelhopf. Wenn ich sehe, wie heute die Telefongebühren sinken und sinken, war das ein guter Preis.

Mein Wohnungsverwalter ruft zurück: «Gute Nachricht. Die Telecom sagt, der Schaden müsse im Haus innen sein. Aussen sei alles in Ordnung. Haben Sie Mäuse? Oder einen Papagei, der Telefondrähte knackt …?»

DREI TAGE SPÄTER BEBT ER VOR WUT: «Sie Riesenarsch – das Telefon im Badezimmer war nicht aufgehängt!»

ACH GOTTCHEN. STIMMT. DAS TELEFON IM BAD HABE ICH TOTAL VERGESSEN. Es ist neu. Und ein Geschenk meines Patenkindes Oliver, der mir die Sache mit den Worten installieren liess: «Wenn du dir in der Wanne das Genick brichst, ruf mich einfach an.»

«Jetzt machen Sie nicht so viel Wind», stutze ich den tobenden Verwalter zurecht. ICH WERDE IHM ZU WEIHNACHTEN WOHL EINEN KUGELHOPF BACKEN MÜSSEN.

Dienstag, 4. November 2014