Von dem Master in Sizilien und null Bock auf Fisch

Illustration: Rebekka Heeb

Tom löcherte mich seit Jahren: «ICH WILL AUCH MAL DIE SIZILIANISCHE SONNE ERLEBEN … DIE HEISSEN STRÄNDE MIT DEN NOCH HEISSEREN WEIBERN.»

Na ja – Heti halt.

Macho.

Und immer mit den ­Händen am Ball.

«Wenn du schön brav ­deinen Master machst, schenke ich dir eine Reise in das Land, wo die ­kleinen Süssigkeiten nach den abgehackten ­Brüsten einer Heiligen genannt werden.»

Das war ich.

Dies in der Gewissheit: Wer sich täglich drei Stunden in einem Folterkeller mit Strampelvelos, stählernen Stemmeisen und Hartplastik-­ Bauch-­trimmrollen den Kick holt, der holt sich nie und nimmer einen akademischen Titel. Sondern höchstens Oberschenkel wie Parmaschinken.

FALSCH GEDACHT!

Mein fitter Vetter hat abgeschlossen. Und ist ein Master. Wo auch immer. Wie auch immer.

FÜR IHN HEISST MASTER: «ICH WILL JETZT SIZILIANISCHE TITTEN SEHEN, DU HAST ES MIR VERSPROCHEN!»

Für einen Menschen, dessen Höhepunkt bei 80 Kilos hochgestemmtem Stahl und einer ­Stadion-Bratwurst liegt, haben die kulturellen Aspekte Siziliens ungefähr denselben Stellenwert, wie ein Badewanne-Entchen für den Atomforscher.

Ich versuchte Tom auf die wunderbaren Opern von Bellini heisszumachen – aber für ihn war Bellini ein Cocktail und Party Party. Die barocken Kirchen von Noto waren ihm so etwas von Wurst. Und vor den prachtvollen römischen Mosaiken der Piazza Armerina meinte er nur: «Wer hat denn das alles in Scherben geschlagen?»

Man muss sich doch wundern, wer heute so alles den Master macht.

Aber natürlich ist mein Vetter ein wirklich ­netter Kerl. Vielleicht etwas einfach gestrickt in seinem Alltagsmuster – mit den Jahrtausend alten Macho-Ganglien des Frauenjägers und Titten­sammlers: Gebt ihm zwei Russinnen mit Holz vorm Haus und eine Pizza Margherita – DAS LEBEN IST OK, MANN!!

Was beim Bruder Normalverbraucher die Zigarette danach ist, bedeutet für Tom 30 km Laufschritt davor. JOGGEN TURNT DEN TITTEN-VETTER AN. DA LODERT ER NOCH MEHR ALS MIT DEM HOLZ VOR DEM HAUS.

ABER DAS IST NICHT DAS EIGENTLICHE THEMA! DAS THEMA IST SIZILIEN. UND SONNE … SONNE … SONNE.

Tom hatte drei Pfund Sofortbräuner, zwei Hanteln und eines dieser grellfarbigen Gummibänder im Gepäck. Ich hasse diese elastischen Zieh-Trimmer in der Konsistenz jenes Korsetts an dem die Kembserweg-Omi auch noch die Woll­strümpfe anband. Die frohen Farben sollen den Arglosen darüber hinwegtäuschen, dass ­Dehnungsübungen mit dem elastischen Torturstreifen in Schwitzen, Schweiss und schreckliches Keuchen ausarten – das Keuchen ganz besonders bei starken Rauchern, was die Nichtraucher-­Umgebung dankbar und genussreich mit «Das hast du jetzt davon»-Blicken quittiert.

MUSSICHNICHTHABEN!

Als wir in Catania ankamen, war der Himmel leicht verhangen. Tom schaute skeptisch: «Ich dachte in Sizilien scheint immer die Sonne.»

«Das ist der Ätna, du Depp!», sagte ich.

Nun gut – wo er recht hatte, hatte er recht: ES WAR NICHT DER DUMPFE DAMPF DES ÄTNA! Es war ein spanisches Tief, das sich innert Sekunden über uns ausgoss wie der ­eloquente Beni Thurnheer verbaliter in seinen besten Tagen.

ICH MEINE, DAS HÖRTE NIE MEHR AUF.

WENN ES IN SIZILIEN ENDLICH MAL SCHÜTTET, DANN RICHTIG! JEDER TROPFEN HAT DIE GRÖSSE EINES ELEFANTEN. UND DIESER ­WASSERELEFANT EXPLODIERT VOR DEINEN FÜSSEN.

Jetzt aber: SCHUHE AUS. UND RETTE SICH, WER KANN! Toms kurzer ­akademischer Titel war mir sieben sehr lange Sizilientage wert.

Ich stellte ihn sämt­lichen Kellnern am Fusse des Ätnas als «Tomaso, il ­Master!» – vor. Sie lachten so wie sie immer lachen, wenn ein touristisches Trinkgeld ihren ätnavernebelten ­Alltag aufhellt.

Ja, sie schleppten ihm die besten Fische und Muscheln an. Aber mein Vetter isst keinen Fisch. Nur in Form von Omega-3-Fettsäuren. Und dies nur in geruchloser Pillenform. WEHE, WENN DA EIN FISCHIGES RÜLPSERCHEN VON DER KAPSEL GESTEUERT NACH OBEN ROLLT – DANN FISCHT ER IM TRÜBEN UND KIEST SICH AUS!

Ich wusste von seiner Abneigung gegen alles Fischige, seit seine liebe Mutter den Kabeljau zwei Stunden zu lange im Öl gebraten hatte – aber ich vergass, dass er auch keinen Zucker isst, weil das der Traumfigur schaden könnte.

ZUCKER IST IGITT!

Und wer will schon so aussehen, wie der fette Vetter daneben, diese übersüsste Siruptonne. IGITTIGITTIGITT!

Ich meine: So blieb nicht viel Freude für den frisch gebackenen Master auf Sizilien. Der Regen hörte nie auf. Der Fisch auch nicht. Und als dann auch noch die Frühstücks-Brioches mit Rosinen gespickt waren, da brach unser Muskelpaket über seinem Zitronensaft endgültig zusammen: «Ich will heim!»

Auf dem Heimflug war die Kiste voll mit ­russischen Weibern. Irgend so ein Volleyball-Club aus Neu-Petersburg. Und jedes Exemplar ein Aktions-­Verschnitt von Katharina der Grossen und Ivan Rebroff – alles in sattem Polyester verpackt. Die Mädchen sahen aus wie gesottene Blutwürste vor dem Knallpunkt – in den Farben eines ­schwulen Messmoggens.

Jedenfalls – kaum war das Zeichen für Abschnallen gegeben – blühte Tom auf. Liess seine Muckis tanzen. Und gab den Macho-Gockel.

Die dummen Weiber kreischten entzückt, als er sein neonfarbiges Trimmband auspackte.

Und ich entsorgte im Säckchen der Vordersitzrücklehne seufzend drei Pfund Unterlagen über das barocke Sizilien und Bellinis «Norma».

Dienstag, 28. Oktober 2014