Der Bestatter

Er war vor dem Grab.

Sie hatten es wieder mal zu eng ausgegraben.

Albert hasste das. Die Arbeiter waren heute ­einfach nur noch faul. Und zu schmal ­ausgebuddelte Gräber machten immer Probleme.

Einmal – es war ausgerechnet die Beerdigung des Bürgermeisters gewesen – passierte das Drama.

Der Sarg sollte mit Seilen heruntergelassen ­werden. Es schüttete eiergrosse Tropfen. Die Leute hofften nur auf eines: ab in die Grube.

Erde drauf. Und – hopphopp! – ins «schwarze Ross», wo Geräuchertes von der Sau und ­Weissbier warteten.

Albert hatte die beiden Helfer, welche die Kiste an Seilen zur Erde niederlassen sollten, mit klaren Direktiven zu führen: «Mehr links … noch mehr links … etwas rechts. Jetzt runter!»

Keiner liess die Menschen so professionell ins Loch wie Albert.

ABER EBEN – DAS GRAB MUSSTE RICHTIG ­AUSGESCHAUFELT SEIN.

Und nicht von diesen vertrottelten Alkis, die bei jedem dritten Spatenstich das Pausenprogramm einlegten und den Flachmann ansetzten.

Die Gattin des Bürgermeisters hatte sich nicht lumpen lassen. Sie hatte dem Ehemann jahrelang turmhohe Hörner aufgesetzt und trieb es schwungvoll mit dem Vorturner der Männerriege. Jetzt aber, als ihr Alter eines Morgens einfach

blau anlief, mit Keuchen in seinen Milchkaffee kippte und so den Löffel abgab – ALSO JETZT SCHLUG DAS SCHLECHTE GEWISSEN PURZELBÄUME.

Heulend liess sie sich von Albert den Sarg mit den vornehmen Eisenbeschlägen aufschwatzen.

«Ach Gretel, er hat es doch verdient. Wo er so viel Unschönes mitanschauen musste. Ich fürchte, die Leute könnten giftig reagieren, wenn du ihn in einer Billigkiste zur letzten Ruhe fahren lässt…»

Bestatter Albert war mit allen Wassern ­gewaschen. Schon sein Grossvater und Vater ­hatten die Menschen von Ober-Tannenweiden in die Grube geschickt.

Selbst die Unter-Tannenweider kauften sich die Totenhemden bei Albert. Und das wollte etwas heissen. Die beiden Orte waren bis auf den Tod miteinander verfeindet. Aber jeder wusste: Alberts letzte Hemden sind immer nach dem neusten Schrei. Und beste Qualität.

Er hatte Gretel neben den kniehohen Baumwoll­socken («die Herbsttage sind kühl, Gretel!») auch ein Spitzenkissen aufgeschwatzt («darauf geniesst Albert einen seligen, ewigen Schlaf bis ER uns wieder aufweckt – und selbst danach ist das ­Kissen nach einem 30-Grad-Waschgang wieder wie neu!»).

Die Gattin schluchzte: «… er soll den goldenen Siegelring, den ich ihm zur Bürgermeister-­Ernennung geschenkt habe, bei seinem letzten Gang am Finger tragen!»

«Aber hallo!», dachte Albert.

Und: «Du Gute!», tätschelte er Gretels Hand.

Leider war das Loch nun wirklich zu eng ­bemessen gewesen. Die Friedhofsarbeiter ­zuckelten mit den Seilen hin und her. Und man hörte es in der Kiste rumpeln.

Schliesslich donnerte der Sarg bis zur Hälfte in die Grube. Die Scharniere brachen aus dem Holz – und die Kiste krachte auseinander. Bald schon sah die Gemeinde, wie es dem Bürgermeister auf den milchigen Kopf regnete.

Er trug übrigens weder die teuren Socken noch den Siegelring.

UND NUN WAR ALBERT ALSO WIEDER VOR DEM GRABESLOCH.

Der Pfarrer schlug das Kreuz: «So geht er hin, unser guter Bruder…»

Die Arbeiter zuckelten an den Seilen: «Mehr links… stopp… noch mehr links!», hörte man eine Stimme.

Es war nicht die von Albert. Der lag in der Kiste.

Ob ihm der neue Bestatter Socken übergezogen hat, ist nicht überliefert.

Hoffen wirs.

Die Herbsttage sind kühl…

Montag, 27. Oktober 2014