Von Tanzabenden und Party... Party... Party

Illustration: Rebekka Heeb

Ich hätte gerne Olliver zu einem Nachtessen eingeladen. Aber: «Geht nicht, Alter – wir machen Party!»

Alleine schon dieser Ausdruck – PARTY MACHEN!!!

Ich meine: Da kotzt einer doch schon, bevor er sich ins Koma gesoffen hat.

Unsere Zeit will keine Nachtessen mehr. Nur noch «Dates» bei Whatsup. UND PARTY. GROSS GESCHRIEBEN.

Ich möchte euch jetzt nicht mit dem Beschrieb früherer «Tanzabende» langweilen.

ABER DOCH! GENAU DAS WILL ICH!

UNSERE PARTYS WAREN NÄMLICH DEZENT. STIMMUNGSVOLL. UND NACH DEM SIEBTEN CHA-CHA-CHA GING DIE POST GENAUSO AB WIE IN DEN HEUTIGEN CRACK-HÖHLEN.

Damals brauchte es keinen Speed. Keinen DJ. Und keine Bass-Verstärker, die auf 100 000 vibrieren und immer kurz vor dem Kollaps stehen.

Fünf Liter Süsswein, zwei Flaschen Cointreau und eine halbe Flasche von Muttis Notfall-Alkohol genügten. Wir nannten es die «Sissi-Bowle». Weil sie so süss war. Und weil selbst die grössten Machos danach ein Krönchen trugen.

Klar doch. Wir haben auch die Sau rausgelassen: Der falsche Perser in der Stube wurde eingerollt. Und ein echter Peter Krauss aufgelegt. Die Mädels trugen diese kurzen Fähnchen mit gestärktem Unterrock. Und um Mitternacht trugen sie dann meistens nur noch das Tablett mit den Salzstangen. ACH KINDER – IN DIESER BEZIEHUNG WAR GAR NICHTS ANDERS ALS HEUTE.

Spätestens nach dem vierten Glas «Sissi» und den ersten drei Zügen vom Joint, den wir herumgehen liessen, dampften die Gefühle.

Nun gut. Man hat nicht so lange rumgefackelt wie in der «Darüber müssen wir jetzt mal reden»-Zeit. Innere Regungen wurden nicht drei Mal auseinandergebeinelt. Und stundenlang durchdiskutiert. Nein. Alles kam gleich zur Sache. Schliesslich steckten wir in einer Zeit, wo Beate Uhse mehr Peitschenbuden eröffnete, als Aldi heute Harassen-Läden betreibt. Und die Mütter haben ihre Töchter in Panik zum Frauenarzt geschleppt, damit er den Mädchen die Pille verschrieb.

Die Pille war die Wunderdroge jener Zeit: ­EINWURF. UND FREIE PISTE!

Ich weiss nicht, ob es eine wirklich gute Zeit war. Die Natur hatte bei mir alles anders programmiert. Und so bin ich an den Tanzabenden herumgestanden, habe die Väter, die hin und wieder jovial munter auftauchten angehimmelt. Und wurde von den Mädchen immer wieder zum Tango oder Englisch Walzer aufgefordert. Ganz einfach, weil ich mich wirklich aufs Tanzen konzentrierte. Gut führen konnte. Und die Finger von ihren Titten liess.

Meine Mitschüler, mit denen wir zusammen von einer gewissen Frau Bickel Standard- und Lateinamerikanische Tänze eingepaukt bekamen, benieden mich. Die Weiber flogen auf den schönen, jungen Mann, der kein Interesse an ihnen zeigte. Dieses Nicht-Beachten törnte sie an. Ich war für sie wie diese kleine Hermès-Tasche, die für Grace Kelly angefertigt worden war: aus speziellem Stoff. Und nicht zu haben.

Ich weiss nicht, weshalb heute in diesen Schwulen-Dramen immer die Leier von «wir mussten uns stets verstecken» angestimmt wird.

Ich provozierte ziemlich offen. Wedelte unmissverständlich vor den Vätern meiner Schulfreunde herum. Hatte auch immer etwas von Mammas Rouge auf den Backen. Aber die Umgebung reagierte ziemlich gelangweilt darauf. Und schubladisierte mich unter «na ja – er ist halt so».

Meine Klassenkollegen sahen die Hausfrau in mir eh nur positiv: Ich organisierte die kalten Buffets, brachte die Blumen für die Gastgeberin und wurde der «Einheizer» der Klasse. Es war meine Aufgabe, die Weiber beim Tanzen so richtig aufzulockern. Ich musste sie geschmeidig und dann heiss machen – jetzt erst wurden sie von meinen bereits sabbernden Kommilitonen abgeklatscht. Und zum Buffet entführt: «Magst du noch ein Glas Sissi, Hanni ...?»

Den Rest kennen wir: Pille, Salzstangen. Und keine langen Diskussionen.

Es machte mir auch nichts aus, dass ich, wenn alle sich in irgendwelche Zimmer oder hinter Gartenbüsche zurückgezogen hatten, die Gläser zusammenstellen half. Ich hatte für jeden dieser Tanzabende nicht nur 150 gestrichene Brötchen im Tragkorb bereit, da lag auch immer die weisse Schürze mit den Rüschenrändern obendrauf. Kokett stellte ich mich vor den Familienvater: «Könnten Sie mal zubinden …»

Es war ganz normal, dass irgendeiner der Erwachsenen das überwachte, was wir heute ­PARTY-TREIBEN nennen. Natürlich taten sie das unauffällig. Die Väter kreuzten hin und wieder unter dem Türrahmen auf. Liessen die Blicke schweifen. Und wünschten sich, sie hätten zu ihrer Jugendzeit nicht an der Grenze stehen müssen.

«Meine Frau pennt schon», grinste der Vater von Hans-Jakob entschuldigend. «Könntest du mal das Tablett zur Spüle tragen?» Also trug ich. Und hoffte, der Vater würde nach dem Abwasch auch drei Glas «Sissi» reinschütten. Danach ein Krönchen tragen. Und so angeturnt den Aufbruch zu neuen Ufern wagen.

Illusion. Illusion!

SO ETWAS TATEN DIE VÄTER DER FLOWERPOWER-GENERATION NICHT. Sie tranken Bier vom Flaschenhals. Und beschränkten sich auf Unterhaltungsfloskeln wie «Ist euer Physiklehrer wirklich so ein Arsch?».

Ich kann nicht sagen, wie heute «richtig Party» gemacht wird. Ich glaube, Peter Krauss heisst jetzt Lady Gaga. Und mit den fingerdicken Salzstangen ist es auch vorbei.

«WASABI-NÜSSE SIND HEUTE ANGESAGT! – GANZ SCHARF, ONKELCHEN, ABER DAVON HAST DU JA KEINE AHNUNG!»

Stimmt.

Wir kauten nur Hasch-Küchlein. Und flogen so zum Mond.

Dienstag, 21. Oktober 2014