Vom Hotel mit den Fürstinnen und Spezialpreisen

Illustration: Rebekka Heeb

Innocent war dagegen.

ABER TOTAL – SAGE ICH EUCH!

«In diesem reaktionären Kasten steige ich nicht ab. Immer diese buckligen Diener mit ihrem Küss-die-Hand-Schmalz …» Er holte Luft: «NICHT MIT MIR! Da kann ich ja direkt auf der Wiener Operettenbühne übernachten!»

Meran war damals gar nicht geplant. Wir kamen von Salzburg her. In uns rollten noch immer drei Pfund Mozart-Kugeln und das traurige Ende der Frau Traviata. Leider waren die Mozart-Kugeln das Einzige, das rollte. Denn präzis als wir Meran durchfahren wollten, blinkte das Lichtlein auf, von dem mein Garagist Enz immer sagt: «Ich weiss, dass Tucken von Autos nur Halligalli kapieren – ABER WENN ­ D I E S E S LICHT MAL BLINKT, DANN: ABSCHALTEN … HILFE HOLEN … UND DAS GROSSE PORTEMONNAIE ZÜCKEN!»

Ich alarmierte also die Pannenhilfe. Und es kamen Menschen. ABER SO WAS VON REIZEND, SAGE ICH EUCH! Sie versprachen, dass wir spätestens in vier Tagen weiterreisen könnten …

«… und wo sollen wir wohnen?», jammerte ich dem netten Abschlepper Hilfloses vor. Er taxierte das Gepäck. Dann taxierte er den Bierbauch von Herrn Innocent. Und schon war ihm klar: «Gehts zum Quellenbad – des is euer Weihwasser-Sorten …»

Das Haus ist alt. Gediegen. Und hat Diener auf der Lohnliste, die in grünen Gärtnerschürzen herumrennen. Und die Koffer buckeln. Das Interieur flösst einem auf dezente Art Respekt ein, sodass Inncoent automatisch die Hosenträger hochzog. Und die verdreckten Schuhe mit einem Papiertaschentuch auf Glanz brachte.

Zwei ältere Damen in irgendwelchen Fantasietrachten und so viel Schmuck am Hals, dass er im Schwabenkrieg als Kettenhemd durchgegangen wäre, stellten sich als «die Fürstinnen Grabowski und von Pissau» vor. Das Haus sei schon in Opapas Händen gewesen – und «herzlich willkommen!».

Tatsächlich scheint im Innern des Hotels die Welt stehen geblieben zu sein: Im Speisesaal werden österreichische Köstlichkeiten wie Tafelspitz mit Apfelkren oder Löffelspinat noch von der Platte serviert. Kein Haubenzauber. Sondern perfekter Service direkt ab Silber.

Immer wieder hört man die Kellner in ihrem schwarzem Pinguin-Outfit flüstern: «Frau Gräfin … noch a bisserl Kren?» Oder: «Herr Major – a Löfferl Spinat?» UND DAS IN I T A L I E N! Im Südtirol sind die Italiener nämlich österreichischer als jeder Sissi-Film.

Natürlich ist das Hotel auch mit amerikanischen und russischen Gästen bestückt. Aber die sind für einmal weder überlaut. Und proleten nicht wodkavoll herum. Sie sitzen mit dem ganzen Adel brav beim Walzertee. Lassen sich kleine Sahnetörtchen vom Wagen servieren. Und selbst die Japaner-Gruppe hat in stiller Ehrfurcht die iPhones auf OUT gestellt. Jeder schmeckt: Das ist eine versunkene Welt. Da können wir jetzt nicht die Touristensau rauslassen.

Nach der Nacht in einem Himmelbett und einem Frühstück mit frisch gebackenen Strudeln, lächelte mir die Fürstin Grabowski unter drei Pfund Abdeckungspuder süss entgegen: «Wollen wir in den Park?» Wir wollten. Denn es galt als höchste Auszeichnung, wenn eine der «Quellenbad»-Schwestern einen zum Spaziergang ausführte.

«SIE SIND SCHREIBER!» – knurrte die alte Fregatte dann ziemlich sachlich beim Hortensien-Beet.

«Ja.»

«Darf ich Sie bitten, NICHTS über unser Haus zu berichten. Wir wollen keinen Medienrummel. Keine Publicity. Nur unsere Ruhe.»

Sie schaute mir nun in die Augen. Und die waren so blau wie der Dolomitensee (so es diesen gibt).

«Ich will Ihnen reinen Wein einschenken. Bei uns verkehren – und das haben Sie ja mitbekommen – viele alte Bekannte aus dem österreichischen , ungarischen und auch russischen Alt-­Adel. Sie bezahlen nichts für ihre Zimmer – oder nur einen symbolischen Betrag, dass sie sich nicht allzu mies vorkommen. Sie laufen bei uns so ungefähr unter skurrile Dekorationsspesen. Das ist so zu verstehen: Diese Menschen geben unserem Haus einen bestimmten Rahmen – und die Gäste aus Ohio oder Tokio sind beeindruckt. Diese erzählen daheim dann: ‹Wir waren an einem Ort, wo die Zeit einfach stehen geblieben ist … alles noch wie im alten Russland oder Österreich – total skurril.› Und sie lassen sich so einen Zauber sehr viel kosten.»

«Aha», sagte ich knapp.

Jetzt lachte die Fürstin erstmals herzlich auf: «Andere Hotels halten sich eine Galerie mit den Fotos all dieser Stars, die im Verlauf der Jahre bei ihnen abgestiegen sind – wir halten uns den verarmten Adel. Mit der Zeit vergilbt beides.»

Als ich in die grosse Halle des Hauses zurückkam, sass dort ein etwa 120 Jahre altes Hutzelweibchen – total aufgemotzt mit Silberhaarperücke und einem samtenen Abendkleid, bei dem der Stoff jedoch schon zünftig Fäden gelassen hatte:

«Das dort beispielshalber ist die Herzogin Esterhazy», flüsterte die Hotelière. Und nickte der Dame freundlich zu: «Sie kam vor 60 Jahren hierher, um ihre Hochzeit zu feiern. Leider ist ihr zukünftiger Gatte nie erschienen. Seither hat sie das Haus nicht mehr verlassen. Sie wartet noch immer auf ihn.»

Nach vier Tagen war der Wagen wieder intakt. Und wir konnten weiterspulen. Ich musste Innocent allerdings mit Baldrian still stellen – weniger der Reparatur- als vielmehr der Übernachtungsrechnung wegen: «ICH HABS JA GLEICH GESAGT!»

Dennoch wollte auch er wieder zurück. Und so legen wir seit nun bald zwei Jahrzehnten auf dem Weg von Salzburg zur Insel stets einen Stopp im «Quellenbad» bei den Fürstinnen ein. Es ist der Abstecher auf einen anderen Planeten. Zwar werden es immer weniger Alt-Generäle und Ex-Fürstinnen. Aber der Rahmen bleibt. Und seit drei Jahren haben wir Rabatt. Es scheint, dass wir nun auch unter «skurrile Dekoration» abgebucht werden …

Hier ist ein Quotes für ein Interview oder bei einem Leitartikel, der vier Zeilen lang ist»

Dienstag, 23. September 2014