Lift-Phobie…

Nelly schaute den Mann, der eben noch ihren (jawohl I H R EN) Lift erwischt hatte, gereizt an.

Nelly mochte Lifte nicht. Vor allem aber hasste sie es, mit andern Leuten darin eingepfercht zu sein.

Erstens war Liftfahren immer ein peinlicher Moment. Jeder stierte irgendwohin. Und keiner wusste etwas zu sagen.

Zweitens wars noch arger, wenn irgendwelche Scherzkekse mitfuhren. «Mit uns gehts aufwärts, Herrschaften – haha!»

Wie Nelly solche Arschgeigen hasste! Es waren immer Männer. Frauen würde es nie in den Sinn kommen, in einem Lift den Clown zu mimen…

Drittens – und das war oft – konnte es passieren, dass einer der Mitliftfahrer ein starkes Parfum benutzte. Oder – NOCH SCHLIMMER! – so ein Billig-Douche-Gel.

NELLY WAR ALLERGISCH GEGEN STARKE UND BILLIGE DÜFTE. Sie verursachten bei ihr Schweissausbruch und Atemnot.

«Du bist eine hysterische Kuh!», hatte sie ihre Schwester (als die beiden noch miteinander ­redeten) stets ausgelacht.

Ja klar doch – Olga konnte es in Liften gar nicht eng genug werden. So ein versautes Luder, das ihre Schwester nun mal war! Nelly schauderte, als sie an jene Liftfahrt in Manhattan zurückdachte. Die Kabine war nun wirklich Knopf an Knopf voll. Hinter ihr stand dieser Bulle von einem Araber ­ im langen Rock. Nelly spürte plötzlich seinen ­keuchenden Atem am Hals.

Sie spürte noch etwas anderes...gottlob waren sie dann im 54.Stock. Und der Araber rauschte hinaus.

Er würdigte Nelly keines Blickes – geradeso ­ als ob nichts ­zwischen ihnen gewesen wäre…

Nelly schaute nun immer, dass sie einen Lift zur Alleinbenutzung ergattern konnte. Manchmal wartete sie einfach drei, vier Fahrten ab, bis ­niemand mehr vor der Türe stand.

Das war ­vielleicht phobisch. Aber besser als Schweissausbruch.

In ihrem Dachappartement surrte der Lift von der Autogarage direkt in die Wohnung. Das war bequem. Aber auch wieder mit einer schreck­lichen Erinnerung verbunden: Sie hatte ihren ­jungen Verlobten Edwin mit Olga (die Schwester sollte Brautführerin sein) für die Hochzeits­besprechung zu einem ­Käsefondue eingeladen.

Die beiden hatten sich in Nellys Tiefgarage ­getroffen. Surrten mit dem Lift hoch. Und blieben zwischen Stock 4 und 5 stecken. Zuerst Gelächter. Dann Gepolter an die Lifttüre. Und endlich Olgas erzürntes «Jetzt ruf doch die Verwaltung an!».

«...UND W E R IST JETZT EINE HYSTERISCHE KUH!», schrie Nelly triumphierend in den Schacht.

Natürlich reagierte die Verwaltung auf den Alarmruf zero. Es war Wochenende. Und die Feuerwehr kam erst anderthalb Stunden später.

Eine Stunde lang war es in der Kabine seltsam still gewesen. Nelly hatte immer wieder an den Lift geklopft. Und ihr linkes Ohr (das rechte war etwas schwerhörig) an die kalte Türe gedrückt: «Heee – lebt ihr noch?!»

Aber sie konnte nur schwere Atemstösse und Wimmern ausmachen.

Als der Feuerwehrmann dann die Kabine ­hochzurrte und die Lift-Türe auseinanderstemmte, lagen Edwin und die Brautführerin eng umschlungen auf dem Liftteppich.

An ein Käsefondue war nicht mehr zu denken. Und an eine Hochzeit schon gar nicht.

(Edwin hatte dann Olga genommen – diese ­verkommene Schlampe!)

«In welchen Stock?» – fragte nun der Mann im Lift.

Er benutzte gottlob weder Douchegel. Noch Parfum.

«Dritter», knurrte Nelly.

Mit einem Ruck blieb die Kabine plötzlich stehen.

ALARM.

Die Feuerwehr kam nach drei Stunden.

Sechs Monate später war Hochzeit.

Montag, 15. September 2014