Von Giordano Bruno und dem Campo dei Fiori…

Illustration Rebekka Heeb

Giordano hält seinen Kopf gesenkt.

Irgendwie schaut er düster. Nun ja – kann ihn verstehen. Sein Campo dei Fiori ist nicht mehr, was er mal war.

Giordano (eigentlich Filip­po) Bruno wurde 1600 zum Tode verurteilt. Dummerweise hat er vor 400 Jahren seine Studien über die Unendlichkeit des Weltraums nicht für sich behalten. Er ging damit in den Chat seiner Zeit. Und hat sie bei den Studenten rausposaunt.

Seine feurige These loderte wie ein Flächenbrand über den Stiefel – das Feuer hat Bruno dann allerdings eingeholt. Der Klerus schickte den Priester zu den Sternen. Das heisst: Er wurde verbrannt. Und zwar auf dem Scheiterhaufen des Campo dei Fiori. Erst 400 Jahre später erklärte Papst Johannes Paul II., dass dies ein dummer Irrtum war.

ABER DIE IRRTÜMER DER GEISTLICHKEIT SIND HIER NICHT UNSER THEMA. SONDERN DER CAMPO DEI FIORI.

Was dort passiert, ist fast so schlimm, wie die Zukunft abzufackeln…

Als ich 1977 meine erste kleine Römer Wohnung gleich an der Ecke der Via dei Cappellari bezog, war der Campo dei Fiori ein «mercato aperto». Will heissen: Jeden Morgen, wenn aus dem «Forno» des Pizza-Bäckers an der Ecke die Düfte von frisch gebackenen Rosette-Brötchen die Luft schwängerten, so gegen 05.00 Uhr also, haben die Gemüse- und Früchtehändler aus den benachbarten Gässchen der Via Giubbonari und der Via Pellegrini ihre Erdbeeren und Karotten auf Lotterkarren zum «Mercato» gezogen.

Die Händler haben vergilbte und vom Taubenschiss erstarrte Sonnenschirme in Steinfüsse gerammt. Unter den Stoffwolken haben alte Weiber Artischocken geputzt, die Erbsen ausgepult und die Minestrone gerüstet. Ihre Jungen schleppten derweil die Kisten an und kochten auf den züngelnden Flämmchen der verrosteten Gaskocher drei, vier Schluck Espresso in der metallenen «Macchinetta».

Der Campo dei Fiori hatte seinen Namen wegen zwei Blumenhändlern, die Geranienstöckchen, Palmenzweige und kleine Sträusse mit Trockenblumen für den Besuch bei den Toten verkauften.

Sonst war hier nichts Blumiges.

Alles wirkte verwelkt. Die Szenerie versprühte aber diesen römischen Reiz, den Fellini immer wieder einfing, überzeichnete und den Menschen so seine Filme schenkte.

«MADONNA SANTA – CAMPO DEI FIORI!» –, das war Anna, meine römische Freundin, die sich zwei Beruhigungstabletten einwarf. Ihre Badekabine lag am einstigen Faschisten-Strand von Ostia neben meiner…

Anna konnte sich gar nicht mehr einkriegen: «SEI MATTO?! – ?! Campo dei Fiori?... das ist ein Quartier von Dieben, Mördern und Huren… es gibt kein Licht in den Gassen. Nur tote Katzen…»

Ja klar. Das mit dem Kriminaltango wusste ich. Aber nur in diesem Quartier konnte ich mir eine Einzimmerwohnung leisten. Die musste man nämlich damals kaufen.

Da ich ein Ausländer war, hatte ich kein Recht auf eine günstige Hypothek. DA BLIEB ALS OPTION NUR DIESES KLEINE LOCH IM FÜNFTEN STOCK EINES HAUSES, DAS WACKELTE WIE DER VORDERZAHN DER ALTEN CARTUCCI!

Ach so: Die Toilette teilte ich mit drei Parteien. Zumindest so lange, bis Innocent Erbarmen zeigte, sein Portemonnaie zückte und mir 10 000 Lire für einen Nachthafen rausrückte.

NA JA – SPÄSSCHEN!

Innocent und ich haben die Düsterhöhle irgendwie wohntüchtig gemacht. Und es wurde ein urgemütliches, kleines Nest. Allerdings – Sport war schon damals nicht unser Ding. Und die 185 Stufen, die zur Türe unter dem Dachstock führten, waren steiler als die Eigernordwand.

Jahrelang hatte ich alle Dachwohnungen von Rom genauso sehnsüchtig betrachtet wie unser Zwirbelhund den Znüni-Klöpfer meines Vaters.

NUN, DA ICH ENDLICH GANZ OBEN ANGELANGT WAR, TRÄUMTE ICH VOM BODENEBENEN PARTERRE.

Die Leute im Haus waren ungewöhnlich. Und ungewöhnlich charmant. Sie wohnten seit Generationen da. Und als mir der Staat keinen Strom legen wollte, weil die Vorbesitzerin 15 Jahre keine Lira für Elektrisch bezahlt hatte, half mir Giorgio aus. Er lebte im Stock unter mir – alleine. Dies, weil er seine Frau vor 30 Jahren ermordet hatte.

Überhaupt gingen Polizisten bei uns ein und aus wie die Bienen im Häuschen. Das blaue Licht mitten in der Nacht, das über meine Fensterscheiben tanzte, wurde zur lieben Gewohnheit, das Sirenengeheul zur Einschlafmusik. Und wenn sie wieder jemanden mitnahmen, wurde am andern Tag gesammelt, damit man dem armen Schwein zumindest ein Stück Huhn und zwei Flaschen Grappa ins Gefängnis schicken konnte.

Ich liebte diese Zeit in «meiner Cappellari». Vermutlich war ich der einzige Fremdkörper hier. Aber da auch meine rosa Hemden als «etwas schräg» galten, betrachteten sie mich wie einen Stuhl, dem ein Bein abgefallen war.

Im Haus traf ich dann immer weniger von meinen «Alten» an. Plötzlich fegten da Amerikaner, Deutsche und viele Bauarbeiter herum.

«Wir sind ‹alla moda› geworden» – seufzte Lara, meine Nachbarin, die beim Bahnhof Termini einen Puff führte, «die Preise hier sind so hoch wie noch nie… alle verkaufen und ziehen in die Aussenquartiere. Dort hat dann jeder seine eigene Toilette…»

Heute ist der Campo dei Fiori chic. 80 Prozent der alten Marktfahrer sind weggezogen. Sie haben ihre Stände zumeist tamilischen Händlern über­lassen. Diese drehen den Touris bemalte Töpfchen mit Gewürzen (aus China) oder parfümiertes Olivenöl (aus der Türkei) an. Abends ist Party. Bei den Jungen aus aller Welt geht die Post ab – ein Heer von Polizisten schaut, dass die Alkoholleichen noch rechtzeitig abserviert werden. Zumindest das herumhuschende blaue Licht ist geblieben…

Geblieben ist auch Giordano. Sein Gesicht schaut traurig – vermutlich, weil er damals genau an dieser Stelle ins Feuer gehen musste. Und vielleicht auch, weil man ihm «sein Rom» auf dem Scheiterhaufen des Gewinns abgefackelt hat.

Dienstag, 10. Juni 2014