Nachruf: André Péguillet, Pâtissier

Lieber Péguy,

Getauft haben sie dich in Clermont-Ferrand André Louis Péguillet. Aber hier, in Basel, hat dich keiner so gerufen. «Péguy» – das wurde dein zweites Ich. Und «Péguy» wurde einer der Farbtupfer unserer Stadt.

Meine Mutter hat mir immer wieder erzählt, wie die Frauenwelt nach dem Krieg den Atem angehalten habe, als du hier 1948 plötzlich wie die Sonne nach vielen grauen Regentagen aufgetauchtbist. Couturier Fred Spillmann hat dich mitgebracht.

In Paris habt ihr euch kennen- gelernt. Du zaubertest als Pâtissier – dein gelernter Beruf – Flans und Profiteroles in einem der grossen Hotels auf die Tortenplatten. Und als ihr euch begegnetet (laut Fred in einer dieser verrücken «Boîte de Nuit» an der Seine), sei es ein «coup de foudre» gewesen. Du hast ihn morgens um fünf Uhr mit deinem Velo ins «Crillon» begleitet. Und den Göppel vor dem eleganten Hotel an einer Strassenlaterne abgestellt. Dort sei das Fahrrad dann drei Tage und drei Nächte lang geblieben, während in der Suite des «Crillon» ein Stück Geschichte begann, welche die kleine Stadt am Rhein immer wieder faszinieren sollte.

Du wolltest nur für ein paar Wochen nach Basel kommen. Aber die Leute hier, das französische Flair der Stadt und die Spillmanns, die dich mit offenen Armen aufnahmen, haben den Tag der Abreise immer wieder verzögert. Und natürlich war da auch die Liebe zu Fred. Im Spillmann-Haus wurde schliesslich deine Boutique eröffnet – tout Bâle erschien zur Vernissage. Oder «tout le gratin», wie du es immer nanntest. Ganz langsam waren sowohl Fred wie auch die Stadt ohne dich kaum mehr vorstellbar.

Wenn ich meiner Mutter glauben will (und sie war – was Männer betraf – immer eine zuverlässige Zeugin), warst du zu jener Zeit der bestaussehende Kerl der Stadt. Die Frauen rannten dir die Boutique ein, nur um aus deinen Riesenhänden eines der kleinen Parfum-Flacons, dessen kostbarer Inhalt Fred in der Waschküche zusammen­gebraut hatte, entgegenzunehmen.

An den Modeschauen des Meisters warst du nicht mehr wegzudenken. Alles wartete auf deine Ansagen im gebrochenen Deutsch und auf den «Breitschwaaas», wie du den Persianer-Pelz jeweils zum Entzücken der Basler Ladys im nasalen Französisch-Deutsch ankündigtest.

Als Fred 1986 starb, hast du drei Tage nach dessen Tod in seinem Sinne die 100. Modeschau moderiert. Du zeigtest keine Emotionen, obwohl du innerlich bebtest. Es war nicht einfach, dieses Leben als Nummer zwei hinter einem grossen Star wie Fred. Aber – und so hat es dein Freund immer wieder betont – «er ist mir ergeben». Und das warst du.

Einmal pro Jahr bist du, der nun einen Schweizer Pass im Koffer hatte, in dein früheres Leben in Frankreich zurückgekehrt. Nach Clermont-Ferrand. Aber da waren kaum mehr Erinnerungen – nur Neffen und Nichten, die wohl deine Sprache redeten, aber nicht von deiner Welt waren. Dein Leben war nun Basel – Basel und die Spillmanns, diese Familie, zu der du nun gehörtest und welche dir auch nach dem Tod von Fred immer zur Seite stand.

Die letzten Jahre hast du im «Adullam» verbracht, hast in deinem Stuhl gesessen und von den Zeiten am Rheinsprung geträumt. Nun hast du uns alle für immer verlassen. Hast mit 96 Jahren sanft die Türe geschlossen – die Türe zu einem Stück Basel-Geschichte, das so funkelte wie ein ­Diamant und so sprühend war wie ein Feuerwerk. Ein Stück Basel, das die Stadt reicher, bunter und fröhlicher machte. Und das in den Herzen der Basler stets weiterfunkeln wird.

Dienstag, 3. Juni 2014