Von klugen Elefanten und einer verpassten Hochzeit

Von allen Städten Rajasthans ist Jodhpur vermutlich die ursprünglichste. Ich meine: alles noch recht authentisch. Und kaum Tourismus.

Frühmorgens, wenn man das prächtige Mehrangarh-Fort mit seinen traumschönen Sandsteinsäulen besucht, wenn da die Sonne wie eine rote Feuerkugel durch die riesigen Bögen in die offenen Hallen und Höfe schimmert – DA HAT DAS GANZE EINEN ZAUBER AUS DER ­INDISCHEN MÄRCHENWELT.

Jador führt uns mit seinem ausgebauten TukTuk-Ungetüm über die Wüstenstrassen.

Es sind wüste Strassen.

Bald schon tauchen wir in ein sanftes Grün: Wir sind bei den Hügeln um Ranakpur angekommen. Am Strassenrand winken uns die Affen hektisch zu.

SELBER AFFE, WER SICH DA VON DEM AFFEN ERWEICHEN LÄSST! Die Herrschaften sind ­nämlich tierisch streitsüchtig. Das heisst: Wer sie mit Kambly-Biscuits füttert, ist ganz selber schuld, wenn sie ihm dann den Stinkefinger zeigen, wenn nach dem vierten Päckchen alles alle ist.

«Die scheissen mir aus Wut das Verdeck voll!», knurrt Jador mit strafendem Blick zu uns. «Man darf hier Tiere nie füttern – und schon gar nicht mit Keksen. Das erhöht ihren Blutzucker und macht sie aggressiv.»

«Ja dann …», seufze ich. Und werfe die drei toten Mäuse, die ich mir für eine nette Kobra aufgespart habe, in den Sand.

Beim weissen Tempel der Jain wartet Lalit. Er führt die Finger wie bei Dürers betenden Händen zusammen. Und macht eine Verbeugung.

Auf Lalits Stirn brennt der rote Glückspunkt. Eine Stunde später stempelt er diesen auch uns auf den höchsten Punkt der Nasenwurzel – dies obwohl mir noch immer kotzübel und mein Magen von der Fahrt alles andere als glücklich ist.

Nun erfahren wir die Familiengeschichte: Seit 400 Jahren gehören Lalit und seine Familie den Jain an. Lalit ist Mönch. Und ganz nebenbei auch privater Reiseführer. Überdies erklärt mir Lalit bereits zehn Minuten nach unserem Treffen, wie ich von Muttenz am besten auf den Barfüsserplatz komme. Er ist nämlich öfter in Muttenz. Bei Freunden. Und die seien bei diesem «ganz einzigartig seltsamen Stadion» daheim.

ABER HALLO – DA STAUNST DU DANN NICHT SCHLECHT!

Die Sache relativiert sich allerdings ein bisschen, als wir am folgenden Tag im grossen City-Palast des Maharanas von Udaipur Lalit heimlich beobachten. Eine Reisegruppe aus Strassburg liess sich eben von einem etwas langweiligen Führer den Spiegelpalast erklären – Lalit unterbrach das Gähnen der Elsässer: «Strassburg – da habe ich gute Freunde. Wisst ihr wie man von dieser wunderbaren Kathedrale am besten zu der Bootsstation kommt …»

DA WAR DANN JEDE MÜDIGKEIT IN DEN ELSÄSSER BIRNEN ERLOSCHEN.

Dank Lalit und seiner Jain-­Familie werden wir nun in die privaten Räume des Maharanas geführt. Da werkelt weiss gewandetes Personal überall auf Teufel komm raus. Sie knüpfen Glitterblumen an die Decken. Stecken Hunderte von Fahnen ein. Und schleppen Tonnen von Blumentöpfen mit lila Jasmin­blüten an.

«Unser Prinz heiratet in drei Tagen», erklärt Lalit schlicht. Und so, wie er es sagt, ist der Prinz hier Gemeingut des Volkes. «Man erwartet etwas über 5000 Gäste im Palast. Auf dem Laike Pichola werden 100 000 Öllämpchen schwimmen.»

Er kommt ins Schwärmen: «DA WIRD SO ­RICHTIG DIE POST ABGEHEN. Also wenn ihr Lust habt – der Maharana lädt euch bestimmt gerne ein. Ich darf diese Einladung schon mal in seinem Namen aussprechen. Sein Bruder ist nämlich ein enger Freund von mir …»

WAS BRINGT UNS DAS, WO DER PRINZ UND SEINE 100 000 ÖLLÄMPCHEN SCHON VERGEBEN SIND! Überdies habe ich eh nichts anzuziehen. Und Innocent würde in seiner indischen Schlabberhose an einer Prinzen-Hochzeit im ­besten Fall als Clownnummer durchgehen.

Jador fährt uns schliesslich vor einen riesigen Platz. Ein Dutzend Elefanten streckt uns liebevoll die Rüssel entgegen. In der Liebe steckt allerdings das Verlangen: Sie wollen Erdnüsschen. Aber noch mehr lieben sie es in bar und erinnern so an jemanden, der mit Schlabberhosen neben mir steht.

Die Elefanten – es sind in Indien indische, man erkennt sie an den kleinen Ohren – rüsseln sich die Geldscheine gerollt entgegen. Dann ­stecken sie die Nötchen ihrem Führer direkt in den Hosensack – ALSO SO WAS VON NIEDLICH!

Ich habe gut zwanzigmal einen 50-Rupien-Schein hingestreckt, nur um zu beobachten, wie der ­Rüssel in den Sack ging. UND INNOCENT MACHTE NATÜRLICH DEN KLÄFFENDEN DACKEL: «Hast du einen Hitzeschlag! Der Elefant gibt dir das Geld nie mehr zurück – da kannst du ja auch gleich Bankaktien kaufen!»

Der Führer wollte uns dann dazu animieren, einen seiner Elefanten zu besteigen. Doch wenn da eine sensible Seele in diese voll traurigen Augen der Dickhäuter sah, wusste er auch Bescheid, ohne Mitglied im Elefantentierschutzverein zu sein: Die Rüsseltiere mussten vor fetten, zumeist russischen Touristinnen in die Knie gehen – und diese Lasten mit den rot verbrannten Schinkenhaxen huckepack auf sich nehmen.

IST DAS EIN LEBEN?

«NEIN!» – sagte ich zu Innocent, der allerdings ­lieber geritten wäre, als den steilen Weg zum Fort zu laufen – «NEIN. DAS TUN WIR DEN ELEFANTEN NICHT AN! DAS IST EIN ABSOLUTER ­TOURISTENZIRKUS. SCHAU IN IHRE BLAUEN AUGEN UND DU SIEHST: SIE SCHÄMEN SICH FÜR UNS MENSCHEN!»

Nach diesem Wort zum Tag steckte ich den geplagten Tieren noch ein paar Gummibärchen zu. Sie hatten Tränen in den Augen.

Und ihr Führer auch. Er hätte auch lieber ­Bargeld gehabt.

Vier Tage später standen wir in Jaipur vor dem Palast der Winde. Innocent machte Lalit madig. «Ja was habt ihr denn hier angestellt. Als ich letztes Mal da war, stand der Palast noch ganz alleine in der Wüste. Und jetzt ist hier die 5th Avenue …»

Letztes Mal war vor einem halben Jahrhundert! Und auch in Indien hat sich einiges verändert.

Drei Elefanten zogen an uns vorbei – einer von ihnen blinzelte mir kokett zu. Sein Rüssel ging direkt in meine Hosentasche mit den Rupien …

KLUGES TIER!

Dienstag, 25. März 2014