Das Wunderland der Gewürze - Antica Drogheria Torielli

Die Menschenschlange im kleinen Eckgeschäft steht bis auf die dunkle Gasse. Die Leute warten geduldig. Untypisch für Italien. Noch untypischer für Genua.

Alfredo Cartucci hat vor drei Wochen Safranfäden aus dem Iran bestellt. Signora Rosanna hatte damals seinen Auftrag mit schwarzer Tinte ins grosse Buch notiert. Cartucci's Name und die Bestellung von 30 Gramm steht nun gleich nach dem Pariser 3-Sternerestaurant Lambroisie (120 Gramm).

"Die Ernte war nicht optimal", hatte die kleine Frau hinter dem uraltenm, hölzernen Ladentisch sich bei ihrem Kunden, einem Hobbykoch aus Rom, entschuldigt, "... und nun veteilen die Iraner ihre Safranfäden so geizig wie Gold. Wir haben natürlich spanischen. Und da sind auch die kleinen Fäden aus den Abruzzen - però ...". Sie lässt das "es ist nicht dasselbe" im Raume schweben. Zwar ist sie Italienerin. Aber beim guten Essen hört der Patriotismus auf ...

Die Antica Drogheria M.Torielli an der Via San Bernardo 32 von Genua ist ein Wunder im Wunder. Das erste Wunder ist Genuas Altstadt: ein von vielen als Slum verrufenes Wirrwarr an Gassen, die so eng sind, dass sich kaum zwei Hunde hier kreuzten können. Ueber 40 Kilometer schlängelt sich diese grösste und sicher auch dunkelste Altstadt Europas. Sie klettert Genuas Berge hoch und führt die Leute wieder zum Hafen runter.

In den Gassen findet man noch alle diese alten Geschäfter und Handwerker, denen Grosskonzerne und Supercenters anderswo längst den Garaus gemacht haben: es gibt Strohflechter und Schraubendreher. In der Via Canneti il Lungo werden über 100 Pasta-Sorten von Hand genudelt und der Pesto im hölzernen Mörser gestossen. Drei Schritte weiter, in der Via Giustiniani werden Kichererbsen-Pfannkuchen auf offenem Feuer gebacken. Die Farinata , diese zarte omelettenartige Köstlichkeit Liguriens wirft in verbeulten Blechern, die grösser sind als Kirchturmuhren unwillig Blasen auf. Ihr sanfter Duft aber lässt 500-Kalorien-Kuren oder Apfeldiäten auf einen Schlag vergessen.

Auch die Drogheria Torielli lockt mit Düften. Fragt man nach der Adresse, lächeln die Leute: "Gehen sie einfach den Gewürzwolken nach ...".
Stimmt. Immer kräftiger wird das bunte Bouquet von Vanille und gestossenem Ingwer, von Gewürznelken und Zimtstengeln. Endlich steht man vor dem winzigen Schaufenste. Fingergrosse Gewürz-Gläschen mit handgeschriebene Etiketten bieten die Duftpalette - von AGLIO bis ZENZERO - einer kulinarischen Welt an.
"Bis vor dem zweiten Weltkrieg waren wir in Genuas Altstadt 19 Drogherie" - erzählt Rosanna Cavanna, "heute sind wir als einzige übrig geblieben".

Rosanna's Grossmutter Mathilda Torielli hat 1920 das Geschäft in der schmalen Altstadtgasse übernommen. Ihre Enkelin erzäht "Hier war immer eine Drogheria. Der Ort, nur ein paar Schritte vom Hafen, ist dafür ideal. Mein Vater Romeo und mein Onkel Mino kontrollieren auch heute noch persönlich die Gewürz-Ladungen, die aus allen Erdteilen von den Schiffen für sie abgeladen werden..."(Dabei haben Papa wie Zio demnächst ihre 90 Lenze auf dem Buckel).

Während früher die über 1000 Gewürze von den Vätern in Blechdosen verstaut worden sind, haben die Töchter Rosanna und Antonella zu den Gläsern gegriffen: "So erkennt der Kunde gleich, was er kaufen möchte".

Unter den Top-Chefs gilt Genua's Antica Drogheria als Geheimtip. Hier ist jede Gewürznote, jede Essens erhältlich. "Die meisten Köche kommen auf ihrem Urlaub selber vorbei - ganz einfach weil sie das Ambiente lieben :hangemachte Seifen aus Marseille liegen neben dem teuersten Vanille aus Madagaskar. Und bei den 15 Safran-Sorten explodieren Streitgespräche, ob die Fäden intensiver schmecken als das Pulver wie das Feuerwerk am Tag der Heiligen Barbara. (Merke: ungekochte Safranfäden dekorieren die Speise schöner - den unvergleichlichen Geschmack geben die Fäden jedoch erst in einer Flüssigkeit, die auf mindetsens 80 Grad erhitzt wird, ab).

Wie in einem Modegeschäft pflegt die Drogheria eine Winter- und eine Sommersaison. Während in dne heissen Tagen vor allem seltene Teesorten verlangt werden und das Savoy in London die kostbaren Jasmin-Blüten ("man nimmt nur 3 Kügelchen in eine Tasse und der Tee schmeckt wie ein Blumengarten") hier abpacken lässt, machen im Winter die hauseigenen Schokoladen, die man nach uraltem Hausrezept mit Pfeffer oder Ingwer, mit Kardamom oder mit etwas Vanille würzt, Furore.

Wie kommen jedoch 20 Quadratmeter Wunderland gegen Supermercati mit Billig-Gewürzecken an?
Rosanna schaut von ihren Vanillestenbgeln auf: "Haben Sie diese Center-Aromen schon ausprobiert? Alles Massenproduktion. Da kann der Koch auch Stroh in seine Sauce streuen..."
Endlich ist Hobby-Koch Alfredo Cartucci an der Reihe. Doch Pech. Er wird auf nächste Woche vertröstet: "Die Iraner machen sich noch immer rar..." seufzt Rosanna. "Aber wir haben heute eine kleine Ladung von sehr jungen Jasmin-Blüten aus Ceylon bekommen ..."

Alfredo lässt sich den Genuss nicht entgehen und 50 Gramm vom Tee abwägen. Für den Safran will er in vier Tagen wieder kommen. Er geht auf die dunkle Gasse hinaus - und schaut dann nochmals in den kleinen Laden: "Das Gute dieser Welt braucht eben seine Zeit ..." lächelt er.

Antica Drogheria M.Torielli, via San Bernardo 32 - 16123 Genova,
Tel.: 010 246 83 59

Sonntag, 19. März 2006