Von fliegenden Schnabeltassen und einem Boulevard...

Donnerstag - Sie reissen diese Stadt wieder auf, wie Mamma Leone den frisch geschossenen Hasen.
Löcher. LÖCHER. LÖCHER. Das ist das Baudepartement!
Sie graben, wo man geht. Wo frau steht. Und immer wieder haben sie Neues im Schild: Wir werden verkehrsumgeleitet. Wegverleitet. Kurz: ES IST MIR TOTAL VERLEIDET!

«Nallora - nehmen Sies von der schönen Seite!», strahlt der kleine Sizilianer aus dem Quartier-Caffè Paganini. Unverdrossen serviert er seinen Kunden inmitten von Baugruben und Schutt «caffè latte», obwohl ich schon aus Prinzip bei all diesen Absperrlatten rundum keine «latte» trinken würde. Paganini bringt gar den Arbeitern, all diesen bohrenden und presslufthämmernden heissen Typen, von den mit dickem Vanille gefüllten Cornetti. Die Dinger streicheln jeden Magen mindestens so fein wie zehn Ajurveda-Finger einer indischen Masseurin.

Der «Paganini»-Beizer zeigt auf den kleinen Birmansgasse-Platz, wo er in Vorfreude schon mal einen weissen Sonnenschirm hingepflanzt hat: «Hier entsteht doch etwas... Gemütlichkeit... Lebensqualität... wir werden einen Boulevard haben wie in Rom!»
«... und vor Ihre Türe pflanzen wir einen Baum hin», verkündet mir nun der Vorarbeiter all dieser Löcher strahlend.
«Damit jeder Hund vor meinem Schlafzimmer das Bein hebt», knurre ich ihn immer noch unversöhnlich an.

«Also, ein bisschen musst du eben schon selber frohe Boulevard-Laune mitbringen», meldet sich nun Roger, der Larvenmacher der Strasse.
«Ist ja alles gut und recht», knurre ich. «Aber die löchern die Strasse und mich nun schon seit zwei Jahren. Bis das alles fertig ist, bin ich es auch. Und ziehe ins Altersheim...» Der kleine Sizilianer streckt mir einen seiner Gipfel entgegen: «Hier. Offerto della Casa - gegen schlechte Laune. Ich werde Sie im Altersheim besuchen!» Ein sonniger Mensch, dem selbst die Löcher dieser Welt nichts anhaben können...

Freitag - «Hast du Sanalepsi?», bellt Innocent mir aus dem Bett entgegen. Seit Tagen jage ich drei Mal täglich ins Quartierspital.Tupfe ihm liebevoll die Stirne mit 4711 (nein, das ist keine neue Nummer, das ist Kölnisch Wasser) ab. Schneide ihm Zehennägel und Nasenhaare. Und muss mir anhören, wie er es satt hat, in diesen heissen weissen Strümpfen herumzulaufen.
«Das sind Stützstrümpfe, mein Lieber - das ist, damit du keinen Herzinfarkt bekommst!».
«Mein Herz schlägt nicht in den Beinen», knurrt er.
«Nein. Aber irgendwie hängt das alles zusammen - schwangere Frauen haben auch solche Strümpfe und...» Er schickt mir einen Blick, der eisig sagt, dass er nicht schwanger sei.

«Haben wir wieder mal schlechte Laune?», flötet Schwester Irmgard, die Ulknudel aus Haltingen. Als Innocent nicht schlafen konnte, hatte sie es zuerst mit Meditation und grünem Tee versucht. Dann mit fröhlichem Singen («Oh gebe Gott, dass es doch Aaaabend weeerde...»), bis Innocent mit der Schnabeltasse nach ihr warf.
Das Sanalepsi war ihm ausgegangen. Und Innocent schläft nur mit der Naturdroge aus dem Fläschchen. Sie ist ein echter Hammer und gibt ihm den Gong.
Doch in jener Nacht gab sie ihm gar nichts. Und Innocent musste deshalb am Morgen unausgeschlafen auf seinen beiden neuen Titanknien stehen. DA HABEN DIE SCHARNIERE ABER GENERVT GEQUIETSCHT.

«Himmel - du tönst ja wie eine Gummiente im Bad. Haben die dir kein Schmieröl eingebaut?», versuche ich ihn ein bisschen aufzuheitern.
«Achtung!», schreit Schwester Irmgard.
Da kommt auch schon die zweite Schnabeltasse geflogen.

Montag - Immer gegen sechs Uhr morgens ruft Innocent mich aus dem Spital an. Er kann dann nicht mehr schlafen. Und so spinnt er sich allerlei aus, womit er mich auf Trab halten könnte.
Diesmal: «... und wenn du kommst, nimm einen Plastikbeutel mit. DU WIRST SCHON SEHEN!»
Als ich kam, lagen auf Innocents geschwollenen Knien weissliche Wickel. Die Knie sind alles andere als weiss. Sie sehen aus wie das Ende des Regenbogens. Die Blutergüsse haben dieses samttiefe Blau, das man nur bei sehr reifen Zwetschgen kennt.
«Es ist gut, Schwester - Sie können jetzt gehen!», kommandiert der Herr im weissen Nachthemd aus dem Bett.

«Jawohl Kapitän!», strahlt Irmgard. Dann winkt Inncoent mich zu sich: «Siehst du diese beiden Wickel hier...?» «Ja und?» «Du errätst nie, womit die gefüllt sind - MIT QUARK! Bester Rahmquark aus der Migros. Nur derjenige von der Migros könne die Blutergüsse abschwellen, sagt Schwester Irmgard. Sie streicht ihn eiskalt auf mein Knie - und weisst du, was die nach einer Stunde Auflegen macht?» Ich weiss es nicht.
«Die wirft den Quark dann einfach weg. JA IST DAS NICHT EINE SÜNDE?! Und ich muss es bezahlen. Also - hast du das Plastiksäckchen mitgebracht? Das gibt dir doch ein feines Nachtessen. Du schnippelst ein bisschen Schnittlauch darunter und...» DIESES MAL FLOG DIE SCHNABELTASSE IN RICHTUNG KRANKENBETT.

Dienstag, 19. Juli 2005