Von der Nase voller Koks und dem Fasnachtsquerschnitt

Montag - Das Dorf steht Kopf. Sie haben Carlo di Stefano verhaftet. Dieser ist nicht etwa mit dem gleichnamigen Tenor verwandt - obwohl di Stefano noch höhere Töne gesungen hat als sein Namensvetter zu den schmetterndsten Tagen in Aida.

Na ja. Jetzt ist ausgesungen. Jetzt hat jemand anders gezwitschert. Als sie di Stefano morgens um drei aus den Federn seines nicht unbeweibten Bettes holten, soll seine Nase vibriert haben wie Libellenflügel. Und, meine Lieben - DAS NICHT ETWA WEGEN DER EISHEILIGEN, obwohl die hier saumässig geeist haben. Besonders die Sophie. Dieses Biest hat alles so arschkalt zugefroren, dass die letzten Mimosenblüten wie Schrotkugeln von den Stengeln gedonnert sind. UND DIE PFINGSTROSEN! SAHEN AUS, ALS HÄTTE SIE EINER IN DER EISZEIT GEPFLÜCKT. Man hätte damit seinen Nächsten erschlagen können.

Doch mit all dem hatte Carlos zitternde Nase nichts zu tun.
NEIN.
DIE WAR SO VOLLGEKOKST WIE DER KANONENOFEN DER KEMBSERWEGOMI AN WEIHNACHTEN.
Die Inselbewohner von Monteargentario haben dazu nur ein Wort: «eh be?»
«Eh be» heisst in Italien eigentlich nichts. Aber alles. Es ist dem Baseldeutschen «Ahemm?» nahe.

Antonella brachte mir die neuste Cronaca mit dem Weissbrot und einem Pfund total überteuerten Tomaten vom Hafen: «SIE HABEN CARLO ABGEHOLT?» Pause.
«EH BE?». Schon das Baseldeutsche «ahemm?» macht mich stets wahnsinnig.
Was heisst «eh be - che vuol dire?»

Antonella schält die Pomodori aus der grauen Umwelttüte. Die Tüte ist durchweicht - die Tomaten tropfen so intensiv wie die alte Cartucci in ihre Mega-Pampers.
«Eh be» heisst eben «eh be». Carlo liess nichts anbrennen. Der Schuft holte sich immer das Neuste. Er hat die Frauen gewechselt, wie der Wirt die Glühbirnen in der Disco. Er war «der King in town». Schon als Kind ist Carlo als Erster mit einem Elektroauto über die Piazzetta gedonnert. Dann haben ihm seine geplagten Eltern die «Laurea» erkauft - sie haben alle Lehrer bestochen, damit der Junge zu seinen Punkten kam. Verglichen mit Carlo holt sich der Esel des alten Fernando nämlich noch einen Doktorhut? «Eh be?», sagte nun ich.

Antonella spuckte aus. ALARMSTUFE EINS. Wenn sie wie ein Lama ihren Speichel in die Gegend rumpfeffert, ist ihr Gemüt so aufgewühlt wie unser Zucchini-Beet nach dem Besuch von drei Wildschweinfamilien.
«Mit 20 ist er in die Partei eingetreten. Man kann sich ja vorstellen: WELCHE! Die haben ihn immer wieder gedeckt. Aber jetzt ist er zu weit gegangen: der neue Ferrari? die verwöhnte Tochter des Bürgermeisters als Braut? eine Brillanten-Rolex am Handgelenk - und dies alles mit dem Salär von einem, der im Supermercato die Pastapäckchen auffüllt. DA KONNTE JA ETWAS NICHT STIMMEN?» «Eh be?» «Jawohl. Es gibt eben doch auch in Italien noch eine Gerechtigkeit und?» «Diese Tomaten sind ein Skandal - die sind längst hinüber und für den Preis?» «Eh be», sagt Antonella. Und spuckt aus.

Mittwoch - Mitunter einsamt es sich sehr auf der Insel. Das Meer ist viel - aber manchmal braucht es mehr.

DAS FERNSEHEN DRS WIRFT DA DEN RETTUNGSRING. Da ich den Herrschaften ein paar Tipps für den Fasnachtsquerschnitt geben konnte, bedankten sie sich mit demselben. So hocke ich also umgeben von trommelnden Wildschweinen und pfeifenden Vipern im Ohrensessel und ziehe mir die Fasnacht 05 per DVD rein. ES IST DIESE FASNACHT, WO MICH KEUCHENDE LUNGEN INS OUT GESCHRÄNZT HABEN. Und jetzt erst sehe ich, was verpasst werden musste.

ES GIBT NICHTS SCHÖNER-TRAURIGERES ALS SO EINEN FASNACHTSQUERSCHNITT MITTEN IM MAI! Und dieser Querschnitt ist echt stimmungsvoll - er geht ins Gemüt wie eine Doppelpackung Librium. Beim Ändstraich hocke ich schluchzend im Sessel, rechne aus, wie lange es noch dauert bis wieder die Lichter ausgehen und...

Telefon.

«HEULST DU?» - Innocent scheint schockiert.
«Die Faaasnacht», schnüffle ich, «ist so schöön und Heinz Margot einfach wunderbar und...» Dann sagt Innocent das, was mich wahnsinnig macht: «Ahemm? da ist eine horrende Rechnung gekommen?» Ich schluchze nochmals durch. Dann: «eh be?!»

Dienstag, 24. Mai 2005