Vom bösen Zahn und diversen Mittelchen gegen das Üble

Donnerstag - Der Schmerz kam mit der Sensibilität einer Kreissäge. Wie ein wilder Hund sprang er mich in Salzburg an - ausgerechnet in dieser unmöglichen Inszenierung, wo die drei Zauberflöten-Damen aus den Tapeten rausstolpern und sich wie die Fliegen an den Mist, hier aber an den armen Prinzen im Ikea-Bett, schmissen.

Also schon damals, als die Königin der Nacht in einem Babydoll von H&M horizontal in schwedischen Stretch-Leintüchern ihre berühmte Arie schmetterte und Herr Muti das Orchester vorantrieb wie der ehrgeizige Kapitän die «Titanic» auf die Eisschollen, da bohrte mein Martyrium so entsetzlich unten links, dass ich die Koloraturen der Unglücklichen in den obersten Lagen spielend überboten hätte.

«ICH HABE ZAHNWEH!», jammerte ich zu Innocent, der seinen Operngucker gebannt auf den Ausschnitt dieser brausenden Königin gerichtet hatte. Es war auch wirklich faszinierend, wie der Busen bei jedem ihrer Staccato-Fiepser aus dem Babydoll hüpfte - nicht unähnlich einem Pingpongball, der übers Netz jagt.

Und «NEIN - DU BEKOMMST KEIN GELD!» zischte Innocent genervt in die Arie. Er hatte wieder einmal nur Bahnhof verstanden. Sein Flötenzauber war einzig und alleine auf diese hopsenden Möpse konzentriert.

Liesel hat mich, nachdem die Königin in eine Baugrube gefallen war und der Chor aus unerfindlichen Gründen von irgendwelchen Gräbern in Richtung Autobahn aufstieg, an ihr gestärktes Mieder gedrückt: «Auweia-au - hot das orme Buaberl Zohnschmerzen?... jo des is gwis, weil sei olter Giftzahn raussi muess?» - und da konnte sich die dumme Kuh nicht mehr halten vor lauter Witzigkeit. Und Innocent, dieser alte Schleimer, zuckerte sie an: «Ach Lieselchen, du und deine drolligen Spässchen!»

DA POCHTE ES UNTEN LINKS NOCH MEHR UND JEDER PSYCHIATER WÜRDE DIR SAGEN, DASS DIES EINE PSYCHOSOMATISCHE REAKTION AUS DER WURZEL WAR.

Was aber sagt Liesel? «Do hilft a guots Schnapserl.» Und dieses fiese Biest gab nicht Ruhe, bis ich dieses 80-prozentige Gesöff, welches sie Stroh-Rum nennen, runtergekippt hatte und mein Hals loderte wie das Fegfeuer itself. Nach drei Schlückchen war meine Birne derart zugetörnt, dass ich selbst Liesels ewig rumschleckendes Hundevieh mit dem flunderflachen Aufschlaggesicht und dem leichten Stich in den Basedow-Augen eine Liebeserklärung machte.

Immerhin - der Zahn war betäubt. Und ich war es auch.

Freitag - In Modena hämmerte der kranke «Zweier unten links» über meine linke Gesichtshälfte wie Frau Schneiders Tiefbau-Clique mit den Pressluftbohrern durch die Birmannsgasse.

«Sie müssen zum Dentista!», sagte die Apothekerin streng. «Es hat keinen Sinn, dass ich Sie mit Narkotika zupflastere - Sie müssen das Übel bei der Wurzel packen...» ICH LASSE MIR NICHT VON EINEM UNBEKANNTEN MEINE WURZEL ANPACKEN!

Also werfe ich mich jaulend zu Boden (den dramatischen Effekt hatte ich den drei Tapetendamen abgebongt, als diese den bösen Lindwurm mit ihrem Eigengewicht laubblattflach pressten). Ich umklammerte also die Birkenschuhsandalen der Weissgeschürzten und schluchzte: Pieta... oh Signora Farmacista, PIETA (ja, ich weiss, dass Pieta einen schrägen Accent grave auf dem a hat, aber finden SIE den Mist mal auf einer italienischen Computertastatur). Dann fiel ich in eine gespielte Ohnmacht, bis mich die Unbarmherzige mit Eiswasser bespritzte und klar wie deutlich «WEICHEI!» sagte. Die italienische Apothekerin hiess nämlich Walpurga und kam aus Preussen.

Sonntag - Graziella nimmt mich unter ihre Fittiche. Sie reibt die Backe mit einer seltsamen Masse ein, deren Ursprung ich wohlweislich nicht genau erkunden möchte, die aber verdächtig nach getrocknetem Taubenmist duftet.

Dann muss ich mit Ringelblumen-Extrakt spülen und der heiligen Mutter vier Vaterunser und 100 Euro in Cash hinbeten.

Die Heilige mit dem berühmten Kleinen im Arm schaut von sehr hoch gütig auf uns arme Bittsteller runter. Unter ihr sind Dutzende von Kerzen entzündet.

In mir: ein einziger Zahn.

Neben mir steht plötzlich Ricco aus dem Nichts. Er hat die grösste Grappa-Destillerie der Insel.

«Danke», sage ich zur Mutter Gottes.

Ich habe den Wink verstanden.

Dienstag, 4. Oktober 2005