Vom Ausnahmezustand in Rom und dem Louis-Vuitton-Koffer...

Sonntag - Die Möwen schrien ihre unheimlichen Töne aufs offene Meer hinaus. Die Hähne blieben stumm, obschon es ein schöner Tag werden sollte. Und selbst die Katzen, die nun ihre rammligste Zeit durchzittern, liessen diese Nacht von ihrem heissen Tun ab und schlichen mit müden Schwänzen herum.
Es war eine stille Nacht, in der immer nur ein dumpfer Glockenschlag über die Wellen ritt.
«Was ist los?» kam Tom, mein verschlafener Vetter, gähnend aus dem Zimmer.
«Der Papst ist tot», sagte ich.

Natürlich hatten wir die Nachricht stündlich erwartet. Auf der kleinen Insel grüssten sich die Leute mit: «Lebt er noch?» Und selbst die Wahlschlachten, die hier in der Maremma so heftig waren wie drei Hurrikane zu einem verstürmt, verebbten vor dem Finale.
Zu jener Stunde, wo die meisten Bauern das «pollo alla nonna» vertilgt hatten und die Grappaflasche bei den Männern in der Familie herumging, meldete sich diese eine Glocke der alten Kirche auf der Piazza - es ist die grösste, wuchtigste, die mit dumpfen Schlägen immer den Tod eines Inselbewohners ankündigt.
Der Papst hat in jedem auf dieser Insel gewohnt.

Noch in der Nacht sind die Leute in die Kirche geströmt. Vor dem Bild des Heiligen Vaters haben sie die ersten Calla-Blüten und weisse Kirschzweige hingelegt. Sie haben brennende Kerzen gebracht, so dass es unter dem Sternenhimmel wie eine Glühwurmprozession aussah - und alte Männer haben geweint wie kleine Kinder.
«Der Papst hat damals unser neues Gemeindehaus eingeweiht - wir hatten einen polnischen Prete. Und der war mit Johannes Paulus befreundet...», flüsterte uns die alte Petrossi auf der Kirchenbank zu.
Dann wischte sie sich lächelnd die Tränen aus dem Gesicht: «Er hat all meine Grosskinder gesegnet...» Es ist dieser Papst, der in alle Herzen gereist ist.

Dienstag - In Rom herrscht das Chaos total.
Erstens hat Silvio die Wahlen verloren. Als die Resultate draussen waren, hat dies beim trauernden Volk die Freude wieder zurückgebracht.
Einige riefen gar «MIRACOLO... MIRACOLO... das ist das Vermächtnis des Heiligen Vaters!» Aber jeder, der offene Ohren in diesem Land hatte, wusste dass die Stunden der Berlusconi-Partei so gezählt waren wie diejenigen des Papstes.

Silvio selber hatte sich mit einigen Regierungsgrössen zum Petersdom begeben, um für die grosse, letzte Reise des Heiligen Vaters zu beten. Er zeigte sich stark mitgenommen und die Genfer Jungbrunnen-Zellen hatten einiges zu tun. Politkenner allerdings munkelten, es sei nicht der Papst, es seien die Regional-Wahlprognosen, die Berlusconi den Gong gegeben hätten.

Später - als tg1 die ersten Zahlen in einer Wahlsendung verkündete, erbleichte Berlusconi so weiss wie eine Opferkerze. Der inzwischen aufgebahrte Heilige Vater sah daneben geradezu rosig aus. Silvio hätte sich die Haare einzeln ausreissen können, wäre die Implantation dieser nicht so schrecklich teuer gewesen.
So bliebs beim verzerrten Lächeln fürs Volk: «Popolo mio - warten wir die grossen Wahlen im nächsten Jahr ab!»
Vorher wartet das Volk auf die Wahl des andern Papstes.

Donnerstag - Innocent ist ganz aufgeregt. Er wittert das grosse Geld. MEIN GELD. «So könntest du mir endlich das geliehene Geld für deinen Vuitton-Koffer zurückbezahlen...», zittert er in freudiger Erregung.
Sein Plan: «Nun rennt doch alles nach Rom. VERMIETE DEINE KLAUSE! Du wirst goldene Euros machen... damit berappst du mein Darlehen zurück.»

JA IST DIESER GÜTIGE PAPST GESTORBEN, UM EINEN VUITTON-KOFFER ZU BLECHEN?
Na also.

Freitag - Tom, mein Vetter, wollte Rom im Pilgerzustand miterleben. DAS WAR KEINE GUTE IDEE!
Die Stadt ist voll von herumhastenden Hauben-Nonnen aller Art, von pilgernden Touristen, die sich nur an der Farbe ihrer Halstücher unterschieden und von genervten Polizisten, die ihre Trillerpfeifen nicht mehr von den Lippen lassen. Wie hysterische Vögel wollen sie dem Chaos Ordnung einpfeifen.

Um in mein Hinterhaus zu kommen, muss ich zuerst über drei polnische Familien steigen, die hier ihre Schlafsäcke ausgebreitet und eine Kerze vor dem kleinen Hausaltar mit dem Papstbildchen angezündet haben. Sie klopfen alle drei Minuten - einmal wollen sie Sprit für ihren Wasserkocher. Dann muss die Kleinste mal. Und schliesslich ist es das Salz für die Spaghetti.
Der Papst liegt längstens in der Gruft - aber die Polen sind immer noch da.

«Wir wollen sicher sein, dass bei den Neuwahlen alles seine Richtigkeit hat», erklärt mir die Stammesmutter, wie ich sie zu einem Cappuccino einlade. Sie schenkt mir ein handgeklöppeltes Linnentüchlein: «Das hat Wojtyla noch gesegnet...» Man kann über den dahingeschiedenen Papst sagen, was man will - aber fleissig war er.

Dienstag, 19. April 2005