Szenen

Szenen waren Vater verhasst.
«Mach keine Szene!», wies er Mutter in Schranken, wenn er auf Touren ging und sie sich theatralisch in sein Seil warf («Oh, geliebter Mann, weshalb muss es immer die Jungfrau sein?»).
«Werd mir nicht wie deine Mutter?», fuhr er mich an, wenn ich jammernd seine roten Socken umklammerte: «Ach Vater, Vater, bedenkt der armen Waise, die Ihr beim Absturze zurücklässt?»
Mutter hatte das Theatralische in den Genen. Ich den Spruch von Courts-Mahler?
Schon Grossmutter hatte sich früh auf der Szene hervorgetan. Sie mischte als junge Naive die ganze Teatergruppe von Aesch auf. Noch 70 Jahre danach sonnte sie sich in Erinnerungen im eigenen Scheinwerferlicht: «Keine ist als Ännchen schöner gestorben, fragt nur das Feiler-Lyni, es spielte meine Amme?»
Wir hätten gerne das Feiler-Lyni gefragt. Doch das hatte die Szene dieser irdischen Welt bereits verlassen.
Vaters Seite, durchs Band weg brave Handwerker, konnte mit theatralischen Ausbrüchen nicht viel anfangen. Ihr Leben war der Hammer - eine «Nägel mit Köpfen»-Welt, sozusagen.
Entsprechend blieb die Kembsweg-Omi auch als Einzige unbeeindruckt, als Mutter beim traditionellen Sonntagskrach dramatisch einen riesigen Tellerberg vom schönen Streublumen-Geschirr hochstemmte: «MUSS ICH MIR SOLCHE REDEN VON EINEM RUNZEL WIE DIESER SCHWIEGERMUTTER GEFALLEN LASSEN?»
Sie schmetterte das Porzellan auf das gewichste Parkett. Hier scherbelte es ins Tausendfache.
Alles hielt gebannt von dem Auftritt die Luft an. Nur die Omi relativierte trocken: «Für solche Szenen kauft sie tonnenweise Zweitwahlgeschirr in der Epa und hat nicht mal einen anständigen Schnaps im Haus!»
Auch die Familie meines Freundes Innocent - alles Bänker und Bierbrauer - war eher von der nüchternen Seite. Als ich Mutters Szene eine Generation später wiederholte, baute ich mich vor dem Fenster im dritten Stock auf. Ich hielt das Familienerbe, die noblen Meissen-Früchteteller (deren Kopien ich ebenfalls heimlich im Kilo-Geschirrverkauf für meinen dramatischen Auftritt erstanden hatte), in den zitternden Händen: «ICH KANN NICHT MEHR? O WELT, SIEH MEIN LEIDEN!»
Natürlich war es Innocents Mutter, die mir dann jeden Schwung nahm: «Du hast den Stapel verwechselt? Es sind die echten!»
ES GAB KEIN ZURÜCK!
Künftig schälten die Bänkers und Brauer ihre Dessert-Äpfelchen auf dem Kilo-Geschirr.
Wie meine Grossmutter aus Aesch träumte ich davon, meine grossen Szenen auf den Theaterbrettern dieser Welt auszuleben. Ich studierte Paraderollen wie «Die Irre von Chaillot» und «Charley?s Tante» ein - man zeigte aber kein Interesse.
Als ich mir schliesslich ein Herz nahm und dem Journalistenkollegen Reinhard, der als Kritiker von Basel bis Berlin die Szene zum Beben brachte, das Gedicht von «Guten Tag, Herr Gärtnersmann, haben sie Lavendel?» rezitierte, da schaute der mich wohlwollend an: «Versuchs doch mit Karaoke oder dem Rezitieren von Werbespots?»
So geschah es, dass ich letzte Woche im grossen Festspielhaus von Salzburg die Pause benutzte und der Barfrau den «Sarotti-Mohr» vortrug. Diese blieb cool wie die Kembserweg-Omi: «Ja, wos wollen S? denn - a Glas Sekt oder a klaanen Schwarzen?»
Aber - auch wenns alle Neider und Kritiker verreissen wird:
ICH H A B E IN SALZBURG MEINEN SZENENAUFTRITT GEHABT!

Montag, 3. September 2007