Handy

Ich kanns nicht mehr hören. Und doch höre ich es immer wieder. Täglich. Stündlich. Sekündlich.

Es ist, als ob unsere Welt in ein einziges Klingeln, Summeln und Zurren verschmolzen wäre.
Machmal ist es auch der Hochzeitsmarsch. Dann wieder «Hopp de Bäse».
Und stets ist jemand da, bei dem es bombensicher piepst.
Immer mehr werde ich mit dem Alltagsgeschehen mir völlig unbekannter Familien konfrontiert. Im Tram und Zug höre ich von ihren Nöten mit der Steuer. Ich stecke mitten in einem Ehekrach, den ich allerdings nur halbherzig beurteilen kann, weil man ja immer nur eine Seite vom Geschehen mitbekommt? Die Situation ist ähnlich unbefriedigend wie diese Seifenopern in Fortsetzungs-Tranchen, wo man frustriert auf dem Höhepunkt unterbrochen wird. Und nie erfahren wird, wie es weiter geht?
«Hallo Schnausibär? bist du?s?»
Diesmal sitze ich im Restaurant. Handys im Restaurant hasse ich besonders. Da wird doch jede Vorfreude auf den Braten abgeklingelt. Als ich vor drei Tagen von Basel nach Zürich bretterte, büxte handnah - HANDNAH SAGE ICH EUCH! - ein Laster vor mir aus.
Der Chauffeur: rechte Hand am Steuer, linke mit dem Handy am Ohr. AUF DEM SCHOSS EINE ANGEBISSENE BANANE!
Ich hätte Brei sein können!
«Ja, Schnausibär, dass du mich sofort erkannt hast??!»
Das ist dieses Tussi in der Beiz. So ein Organ erkennt selbst ein Stummer gegen den Wind. Alle Gäste erfahren nun, dass Schnausibär beim gestrigen Besuch seinen Kugelschreiber auf dem Nachttisch vergessen hat? Wir bekommen auch mit, dass der Arme an Magengeschwüren leidet und die Frage lautet nun: NIMMT ER SEIN DARMGEL?
Das mit dem Darmgel kommt gleichzeitig mit dem Braten.
Mein Fitvetter Tom, ders mit Sport und Medizin treibt, knallt mir eine Studie hin, die belegt, dass viele Jugendliche bereits wegen versteifter Handgelenke therapiert werden müssten.
«Das kommt von den SMS», nölt er anklagend zu mir.
Als ob ich die SMS erfunden hätte.
Gut. Klar. Ich essemmessle auch. Aber nur in Notfällen: «DU DUSSEL? HAST MEINE AUTOSCHLÜSSEL MITGENOMMEN!»
Schon piepst es retour:
«SELBER DUSSEL? SIE HÄNGEN IM LIFT.»
Es soll gar einen SMS-Dienst geben, der im Zeitalter der Vereinsamung allen Abonnenten im 5-Minuten-Takt Grussworte schreibt. Ich hatte mal so eine Abonnentin im Konzert neben mir. Jede 5. Minute piepste es - voll rein in Beethovens Neunte. Sie endete unvollendet, da der Dirigent mit Schaum vor dem Mund den Stab zerbrach.
«Schnausibär? ich glaube fast, ich muss jetzt aufhören? die Leute gucken schon komisch. Ja? ich dich auch? Mutzi? Mutzi? Mutzi?»
Das war dann beim Dessert.
UND ENDLICH WOHLTUENDE RUHE.
Immerhin kam mir beim Stichwort «Mutzi» in den Sinn, dass Innocent und ich vor dem Theaterbesuch noch ein Bier im «Braunen Mutz» heben könnten und? ALARM! ICH HABE KEINEN EMPFANG!!! Mein Handy ist auf null Akzeptanz.
Der Kellner informiert höflich: «Sie müssen raus. Wir haben einen Störer einbauen lassen. In dieser Beiz kann kein Handy telefonieren!»
UND DER SCHNAUSIBÄR?
Der Kellner zuckt lächelnd die Schultern.
Wie ich abends meinem Vetter davon erzähle, nickt der weise: «Das ist ein neues medizinisches Phänomen der Einsamkeit: die eingebildete Empfängnis?»

Montag, 2. Juli 2007