Von Cannabis und dem Orakel der verkifften Bruna

Donnerstag - Als Bruna, das verkiffte Fischweib im Hafen, pathetisch verkündete: «Uns wird Grosses widerfahren», kümmerte sich kein Schwein um das Orakel.

Bruna ist die jüngste Tochter von Enzo, dem einzigen Fischer der Gegend, der bei der Heiligen Mutter schwören konnte, einmal einen lebenden Walfisch gesehen zu haben.
Enzo geriet eines stürmischen November-Tages in diesen Sturm, wo er von den heulenden Sirenen des Meeres abgeholt wurde.
30 Tage und Nächte lang hatte die kleine Bruna am Strand ausgeharrt und zum Horizont gestiert. Dann nahm sie Padre Luciano am Arm. Führte sie ins Totenhaus. Und am andern Tag wurde ein leerer Sarg in die Gruft der Ricardis einbetoniert.
Noch heute, 33 Jahre später, behauptet Bruna, die als jüngste Waise der Familie nicht nur den Handel mit den Fischen weiter trieb, sondern auch Cannabis auf die Insel einführte - Bruna also behauptet, immer dann, wenn der Mond sein Licht gänzlich verloren habe und das Meer sich pechschwarz mit dem tintendunklen Himmel vereinige, könne sie ihren Vater durch die Winde heulen hören.
Natürlich tun Padre Luciano und die restliche Inselgesellschaft solches Gefasel als Resultat eines Überkonsums an diesen süsslichen Kräutern ab, die sich Bruna unaufhörlich ins Zigarettenpapier dreht. Und entsprechend hat auch keiner zugehört, als das nun nicht mehr so taufrische Fischweib durch ihre Cannabis-Wolken hustete: «Der Insel wird Grosses widerfahren...»
Wie gesagt: KEIN SCHWEIN KÜMMERTE SICH DARUM.
Das änderte sich schlagartig, als Silvio, der Dorfpolizist, in seinen pechschwarzen Stiefeln, die stets derart glänzen, dass man ihm nicht ohne Sonnenbrille gegenüber treten kann - die Bar Centrale betrat. Er bestellte ein Bier (und dies im Dienst!): «SIGNORI!», verklündetre er wichtig, «UNA NAVE ARRIVERA!»

ANKUNFT. «Ein Schiff wird kommen...», hat schon diese langumhaarte wie auch bebrillte Sängerin aus Griechenland immer wieder mit Erfolg gesungen - und auch Silvios Nachricht schlug nicht weniger ein. Hier, wo die Menschen nur die Fischerboote von nah und die Yacht der holländischen Königin von ferne sehen, ist jedes Schiff eine Sensation. Es verspricht Touristen, die aus Langeweile an Land gehen und grosse Einkäufe in der einzigen Boutique des Ortes tätigen. Und obwohl die Kreuzfahrtgäste in ihrem schaukelnden Hotel gar nicht alles essen können, was da auf den Buffets angerichtet wird, so steht ihnen nach 20-mal Filets de Sole «Müllerinnen Art» der Sinn eben doch sehr weit mehr nach einem echten Teller Spaghetti alla Nonna.

MEERLUFT. Auf der Insel hub nun ein aufgeregtes Wirken und Werken an. In den Küchen der Grossmütter blubberten die Sugos, die sie aus diesen langnasigen Tomaten ausgepresst und mit Oregano sowie hauchfeinen Peccorino-Streuseln gewürzt hatten.

An Meerluft getrocknete Schinken wurden hauchdünn aufgeschnitten, eingesalzene Baccala-Scheiben unter dem fliessenden Brunnenwasser weichgewaschen - die Weiber sammelten die süssesten Feigen ein. Und Rocco, der stolze Besitzer der Gelateria, schnitt sich durch kandierte Orangen, Quitten und Limonen, um den Herrschaften eine «Cassata Siciliana» vorzusetzen, «die», wie er sich die Finger küsste, «alle 1000 Passagiere mindestens so ins Nirwana entschweben lassen wird wie tausend Cannabis-Stäbchen die arme Bruna».
In der Ferne sah man das Schiff ankern - ein riesiger Kahn, der schwarze Rauchwolken zum Himmel steigen liess. Die Inselbewohner standen alle am Hafen und warteten auf die kleinen Boote, welche die Passagiere an Land schaukeln sollten.
SIE WARTETEN UMSONST.
Denn der Teufel wollte es, dass ausgerechnet an diesem Tag im Fernsehen irgend so ein wichtiges Fussballspiel übertragen wurde und so nur drei Personen an Land kamen: zwei pensionierte Lehrerinnen aus Brighton und ein etwa 65-jähriger Hippie, den das Leben im amerikanischen Barclay vergessen hatte.
Es war dann John, der den einzigen Kauf des Tages tätigte: 100 Gramm Cannabis bei Bruna. John war es auch, der Bruna mit aufs Schiff nahm - Bruna. Und ihren ganzen Stoff.
«Es ist dieser Stoff» - so sagten die Inselbewohner später, als sie am Hafen zum abfahrenden Schiff winkten und die Tische deckten, um auf Bruna anzustossen -, «aus dem solche Geschichten geschrieben werden...»

Donnerstag, 28. September 2006