Von Nudelstadts Kreditkarte und zünftig Zoff

Donnerstag - Als der Kellner in seinem rabenschwarzen Frack, der ihn wie eine ausgestopfte Riesen-Elster aussehen liess, meinem alten Onkel Nudelstadt diese schwarze Kreditkarte mit spitzen, manikürten Fingern hinstreckte mit den Worten: «Da stimmt etwas nicht» - ALSO DA DACHTE ICH: MIR GIBTS DEN GONG!
Im Speisesaal des «Crillon» hörte man Silbermesser hart auf Teller aufschlagen. Gläser, die einander zuprosten sollten, verharrten geschockt in der Luft. Serviererinnen, welche diese silbernen Kuppeln balancierten, unter denen ein klitzekleines Stückchen Turbotin auf Randenmousse seine ewige Ruhe gefunden hatte, hielten mitten im Schleppgang inne.
Eine eisige Stille überzog den hohen, festlichen Essraum wie der erste Frost das Seeland. UND ALLE KÖPFE NATÜRLICH ZU NUDELSTADT - DIE LUST AUF EINEN SKANDAL WAR GRÖSSER ALS AUF DEN TURBOTIN.
Meine Tante hing ohnmächtig in ihrem Sessel und musste mit Eiswürfeln wiederbelebt werden. Innocent machte dieses überlegene Gesicht, das uns sagen sollte: «Ich habs ja kommen sehn...»
Nur Onkel Nudelstadt hielt die Hand an sein Ohr, das seit dem vorletzten Geburtstag ein wenig übelhörig geworden ist: «QUOI?!»
Das «QUOI» tönte wie ein Konzert aus einem Froschteich - weniger fröhlich, eher bedrohlich: «QUOI - QUOI! - c?est la Platiniüm-Card, wu Trottel, e la Platiniüm-Card isch la plü scheer, la plü vornehm und la plü nobel de tous! Ecrivez wu sssa derrière woo Löffel!»
Noch immer stierten die Köpfe des Saals gebannt an unseren Tisch.
«Ohhh Rudolf», stöhnte nun die erwachte Tante, spuckte ein Eisklötzchen aus und fächerte sich mit der Serviette Wind zu. Ihr Elan war mit den Worten parallel zum Klunkernflunkern erloschen. «Ohh Rudolf... das ist aber sehr, sehr peinlich. Die Leute denken sicher, wir sind diese kreolische Creditcard-Betrügerbande, von der?DIE BUNTE? gewarnt hat.»
Dann energisch: «RUDOLF - TU ENDLICH ETWAS!»
Rudolf tat null und nichts. Er stierte auf das Kärtchen, das ihm seine Macht verweigerte. Der Oberkellner mit den Lippen so fein wie Rasierklingen machte auf Ledersohlen eine halbe Pirouette und entfernte sich zackig. Er muss hinter den Kulissen den Direktor alarmiert haben - plötzlich stand dieser, ebenfalls im Trauerschwarzton der Geschlagenen gekleidet, vor uns. Meine Tante drehte in nervöser Erregung an ihren Brillantenreifchen wie die Kembserweg-Omi einst am Radioknopf, wenn sie «das Wunschkonzert» klar einzustellen versuchte.
Der Trauer-Boss nahm sich Onkel Nudelstadt und die vermaledeite Karte vor: «Der Apparat sagt, die Karte sei nicht gültig, Monsieur. Sie haben da ein Problem...»
«Der Apparat» war mir auf den ersten Blic k unsympathisch gewesen. Ich meine: Da fackeln sie Kerzen in silbernen Kandelabern ab. Sie balancieren gefrorene Minzenbonbons auf arktischen Eisbrocken an, der Eisenkrauttee wird von einem fahrenden Teeblätter-Wagen direkt vom Strauch geschnipselt - und wenn man die ganze Kaschemme blechen muss, taucht der Oberkellner mit einem plumpen Kunststoff-Klotz in Grautönen auf. Der Batteriengespeicherte verfügt über einen Schlitz, durch den die Karten dieser Welt gezogen werden. Lichter funkeln. Sphärische Piepser. Wenn der Kotzbrocken die Sache geschluckt hat, spuckt er ein Zettelchen aus.
ICH FINDE, FÜR SO ETWAS BRAUCHT DER KELLNER WIRKLICH KEINE MANICURE!
Na machen wirs kurz: Bei uns hat er nichts gespuckt.
«Ach Nüdelchen...», jammerte nun die Tante. Und schaute sich geniert im eleganten Raum um, wo die Interessen weniger dem Menü gastronomique als unserer Scheisssituation galten. «Ach Nüdelchen - sicherlich ist es, weil Du doch die Karte im letzten Restaurant nicht mehr zurückbekommen hast. Wir haben der Gesellschaft telefoniert. Und das war eine schreckliche Plackerei, weil niemand zuständig sein wollte...» Das Tantchen trat nun über alle Ufer: «Wir in Basel, die Karte in diesem Trüffelrestaurant in Paris. Und nur weil das dumme Ding dort die Sache im Schlitz stecken liess und Rudolf nach der dritten Flasche natürlich nichts mehr mitbekam. Ich habe daraufhin alles blockieren lassen und...»
«DU HAST WAS?!» - hielt sich der Onkel wieder die Hand an die Lauscher.
«Also lieber zum New Yorker Marathon, als so eine Karte sperren lassen!», brauste die Tante. «Da hast du Umtriebe, sage ich euch - UMTRIEBE! Zwei geschlagene Stunden habe ich am Telefon verbracht, obwohl der Hund mal raus sollte und...»
An den anderen Tischen wurde nun heftig mit den Köpfen genickt. Englische, russische, arabische Gesprächsbrocken gaben durch, dass ihnen ähnliches in Leningrad, Abudabi oder Hastings in Sussex auch schon passiert sei. Ein netter Herr im Scheichlangen und einer Kordel im Haar wollte meinem Onkel gar einen Kredit geben - aber der winkte knurrend ab. Holte seine Brieftasche hervor. Und zog sie auseinander wie Oeschters Göpfi die Ziehharmonika. Verschiedenste Karten in Gold, Blau und Silber funkelten dem Direktor entgegen: «Da! Une fonctionne duschuur!»

Samstag - Schon früh hat Onkel Nudelstadt im Hotel ein Chargé an die Kartengesellschaft geschrieben: «Mein Ruf ist zur Sau!»
«Machen Sie das Porto auf die Rechung», sagte er zum Concièrge.
Der lächelte suffisant: «Gerne - aber ich glaube Ihre Karte hat ein Problem...»

Donnerstag, 23. November 2006