Vom Lächeln der Suora und ihrem Tod

Donnerstag Der Leichenzug war lang. Und langsam.
Antonio Sardi, der in der vierten Generation die Toten von Orbetello begräbt, hatte sich nicht lumpen lassen. Er schickte seinen besten Wagen? einen ellenlangen, schwarzen Mercedes, den er eben erst vor einem halben Jahr an der alljährlichen «Fiera» für Grabschmuck in Palermo zu einem Vorzugspreis eingehandelt hatte.
Das dunkle Blech funkelte wie Onyx in der Sonne? und das Silberkreuz auf dem Kühler war für die letzte Fahrt der Suora Anna frisch poliert worden.
Blutrote Samtvorhänge mit goldflittrigen Zotteln hinter den Scheiben gaben dem Auto einen Hauch von Oper und Drama.
Alle versuchten einen Blick auf den Sarg zu erhaschen, in dem Suora Annas Hände für immer fromm gefaltet lagen. In der Kirche hatte Leichenwascher Enrico noch gemurrt, es sei verdammt schwierig gewesen, diese Hände schön zum Gebet zu formen. Er habe die Suora bei ihrer Ankunft steif wie ein Setzholz vorgefunden. Man hätte die Bedauernswerte eben früher bringen sollen...
Dem Leichenzug ging der Prete von Orbetello in seiner besten Sutane (so violett wie eine frisch gezupfte Melanzane) voran. Er schwenkte seinen Weihrauchkessel wie die Freudenmädchen ihre Täschchen? und der süssliche Duft mischte sich mit den Abgasen der kilometerlangen Autoschlange, die dem Zug im Schritttempo folgte. Aus Ehrfurcht vor dem Tod wäre hier kein einziger auf Überholspur gegangen.
Suora Anna war vor 75 Jahren im kleinen Lagunen-Ort der Maremma geboren. Luisa Carlotti, die damals als Hebamme unterwegs war und demnächst ihren 100. Geburtstag feiern wird (und dies, obwohl sie seit 50 Jahren steif und fest behauptet, ihr baldiges Ende sei sehr nahe...»), Luisa also hat immer wieder erklärt, Anna sei bestimmt das hässlichste Kind gewesen, das sie je einer Mutter in die Arme gedrückt habe. Das Gesicht habe die Züge eines jener fetten Frösche der Lagune gehabt. Und die Mutter habe aufgeschrien und ein Zeichen gegen das Böse gemacht. Doch dann habe das Kind gelächelt und dieses Lächeln sei wie ein Zauber gewesen. Die Menschen hätten den Atem angehalten und behauptet, das Mädchen müsse auserkoren sein und himmlische Kräfte in seine Augen eingebettet bekommen haben...»
Na ja? das war schönes Gerede. Anna hatte nicht viel davon. In der Schule wurde sie als «Rananna? Frosch-Ännchen» gehänselt. Selbst ihr Vater grollte nach dem vierten Glas Grappa jeweils über das Schicksal, das sich mit ihm einen derart derben Spass erlaubt habe und die einzige Tochter als Flussgespenst auf Erden schickte.
Suora Anna fand in der Kirche ihren Frieden. Sie wurde Gemeindeschwester. Und pflegte die Totkranken des Ortes. Jahrzehntelang hat man sie auf ihrem verlotterten Fahrrad durch die Gassen kurven sehen.
Die Alten wussten sich bei Suora Anna gut aufgehoben. Und da ihre Augenlichter nicht mehr die besten waren, sahen sie nur das warme Lächeln. Und nicht den Frosch.
Gings mit einem der Greise dann dem Ende entgegen, nickten die Verwandten einander seufzend zu: «Gottlob haben wir Suora Anna? da kann der Nonno in Ruhe sterben...»
Und die Suora zog mit einem stummen Gebet die Spritze auf. Hielt dem Sterbenden nach dem Einstupf die Hände. Und schaute ihm mit ihren warmen Froschaugen ins Gesicht? ja man sagt, bei Anna seien immer alle mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen über die Schwelle des Irdischen ins Himmelreich getreten.
Umso erzürnter waren die Einwohner des Örtchens, als ein Carabinieri-Offizier aus Florenz die arme Anna bellend verhörte und ihr einfürallemal die Ausübung ihres Berufes untersagte.
Natürlich pfeifen die Menschen in Italien auf alles, was die Obrigkeit (so diese nicht vom Heiligen Stuhl aus predigt), befiehlt. Und so rief man weiterhin Suora Anna, wenns ums ruhige Sterben ging. Und um das glückliche Lächeln des Gegangenen auf den Lippen.
Doch bereits nach 14 Monaten schickte Florenz einen dieser Kistenwagen mit den Gitterfenstern, und die Gemeindeschwester wurde abgeführt. Bevor die bis zum Knie Gestiefelten das Auto schlossen, lächelte Anna noch einmal den Menschen von Orbetello zu. «Bangt nicht um mich? es wird alles gut!»
Drei Tage später kam die Nachricht von ihrem Tod in der Zelle und der Spritze, die man am Boden gefunden hatte.
Zwei ganze Wochen lang lag der Leichnam im Kühlfach auf der Gerichtsmedizin, bis Enrico ihn waschen und Antonio die semi-gefrorene Gemeindeschwester einsargen durfte.
Wenn sich dann auch ein paar wenige wichtig machten und erklärten, die arme Suora müsse ausserhalb des Friedhofs beerdigt werden, da eine Todsünde auf ihr laste, spie der Prete in seiner Sonntagspredigt gegen solches Geschwafel Gift und Galle: sie sei eine Heilige gewesen.
Keiner habe den Menschen so viel Frieden und Ruhe schenken können wie Suora Anna... im Übrigen sei in der Spritze nach Aussage der Polizei nur ein schwaches Kamillenelixier aufgezogen
gewesen...
An all dies haben die Menschen, die dem Sarg gefolgt sind, denken müssen. Und an das Gesicht der Dahingegangenen, das sich eiskalt angefühlt hatte, als sie es alle ein letztes Mal küssten. Auch im Tod war da noch dieses bezaubernde geheimnisvolle Lächeln, so dass Anna in ihrer letzten Stunde fast schön war...

Donnerstag, 12. Juni 2008