Von der gestörten Einsamkeit und Fischern

Donnerstag Das Schöne auf der Insel ist die Insolation. EINSAMKEIT.
Der Tag erwacht so sanft, als würde er in Tigerfinkchen übers Meer schleichen. Nur die Hausschwalben sind bereits piepsmunter. Und nisteln ihr Nest über meinem Schlafzimmer.
Zuerst denkt man: Oh? der Tag wird neblig und grau. Aber es sind nur die verschissenen Fensterscheiben, die aussehen als hätte ein zeitgenössischer Künstler sich darauf mit einer Spachtelarbeit versucht.
Die Schwälbchen haben eine gute Verdauung? DOCH WARUM MUSS DIE AUSGERECHNET ÜBER MEINEM SCHLAFZIMMERFENSTER STATTFINDEN?
Auch das ist ein Grund, weshalb ich immer von Ferientagen in einem Luxuskasten träume: Der thailändische Butler im weissen Anzug bringt unaufgefordert einen Jasmintee. Er zieht die Vorhänge auf: «Schönen Tag, Master!». Dann bückt er sich nach meiner Leibeswäsche, die lässig verstreut am Boden liegt. Er legt alles säuberlich auf einen Stuhl. Und lächelt mit diesem sanften Blick, den thailändische Butler nur in Träumen haben: «Der Masseur mit dem warmen Öl wartet schon...»
ABER HALLO? DAS SIND TAGTRÄUME! UND DIESE SIND AUCH AM MUTTERTAG NOCH NIE IN ERFÜLLUNG GEGANGEN.
Nein. Die Wirklichkeit ist eine eiskalte Dusche, weil der Boiler wieder so undicht ist, wie ein frischgeborener Dackel.
Bibbernd schlurfe ich in die Küche, um Moral und Körper mit einem heissen Espresso aufzuheizen? da trifft mich schier der Schlag: Vor der Kaffeemaschine pennt Marcello auf einem Abtrocknungstuch am Boden. Er gibt Pfeiftöne von sich, wie der Dampfkochtopf bei Druckstufe drei.
NICHTS DA VON EINSAMKEIT UND IDYLLE.
Penner am Boden. Und das Haus voller Schnarcher. Denn natürlich wird unsere Einsamkeit immer wieder von lieben Gästen aufgesucht.
Das Gute daran: die Wildschweine reissen aus. Das Schlechte: ich komme nicht an meinen Kaffee, weil Marcello weder mit liebevollen Worten noch mit einem Liter quellfrischem Wasser wach zu bekommen ist. Die leere Grappaflasche schreit mir den Grund solchen Tiefschlafs entgegen.
Später erklärt mir unser Freund, er sei mitten in der Nacht vor seinem Bettnachbar geflohen.
«Der schnarcht doch mit der Hektik von tausend Presslufthämmern, es war, als würden sie die Birmannsgasse schon wieder aufreissen!» Dann mit leisem Vorwurf: «... da aber alle Zimmer schon voll belegt waren und draussen auf den Stühlen die Katzen im Dutzend pennten, bin ich in die Küche ausgewichen...» Stöhnend hangelt er sich an der Spüle hoch: «Bitte für mich auch einen Espresso? aber doppelt. Und hast du Alkaseltzer?»
Arg war es, als Franco sich ankündigte. Franco ist der Portier zu meiner Römer Wohnung. Und weil er alle Schaltjahre mal meine Geranien giesst, bedingt er sich Privilegien aus: «Wir kommen am Wochenende.»
Wir? das waren fünf Hobbyfischer mit dem frohen Schlachtruf: «Mach schon mal die Tiefkühltruhe leer? wir füllen sie mit Fangfrischem...»
Wie Heuschrecken sind sie über unser Leben eingefallen. Plötzlich war neben meinem Konfitürenglas eine Büchse mit quirlig wuselnden Maden und Würmern? alle drei Schritte bin ich über eine Fischerrute gestolpert. Und als ich mit einem scharfen Jagdmesser und einem halben Liter Jod einen dreizackigen Köder, auf dessen Haken ich versehentlich vor dem Badezimmer getreten war, aus meiner Ferse rausoperieren konnte, war meine Stimmung gegenüber den Gästen mindestens so eisig wie das leere Tiefkühlfach.
Mitten in der Nacht wurde ich dann von den Anglern geweckt. Wenns auch ein stiller Sport ist, so haben diese Fischer aber grausam Gas gegeben. Mit lauten Rufen haben sie ihre Würmer und Maden, die mittlerweilen das Weite gesucht haben, wieder eingefangen: «... und wenn du schon wach bist, dann streich uns doch noch ein paar Salami-Panini. Wir ziehen jetzt los: Morgenstund hat Fisch im Mund? haha!».
Es sind dann nur vier losgeangelt? ausgerechnet Franco beklagte sich plötzlich über Übelkeit. Und ich musste seinen Puls messen, den Fieberthermometer stecken und den Blutdruckanzeigeapparat anhängen? wenn einen Italiener ein leises Unwohlsein befällt, ist das immer die halbe Intensivstation. Nachdem ich ihm sein Sterbezimmer eingerichtet hatte, legte er sich einfach wieder aufs Ohr und schnarchte binnen Sekunden.
Gegen neun Uhr morgens kamen die fröhlichen Fischer miesepetrig vom Fang zurück. Ich hatte meine Tiefkühltruhe umsonst geleert. Ausser einer halbwelken Sardine, die sie vermutlich von einem Fels gekratzt haben, war nix mit Fisch! Sie hätten die falschen Köder gehabt, jammerten die Pescatori. Und schauten vorwurfsvoll auf meinen verbundenen Fuss. «... auf den einzigen brauchbaren hast du ja wie ein Elefant draufstehen müssen!».
Mimma, die liebende Ehefrau von Franco hat mich dann telefonisch beruhigt. «Ach lass ihn einfach pennen? der ist seiner Lebtage nie vor zehn Uhr morgens aufgestanden. Und einen Fisch haben die alle noch nie an der Angel gesehen...»
Daraufhin bin ich zum Hafen gefahren und habe Fischstäbchen fürs Mittagessen eingekauft. Nachts habe ich dann wieder vom thailändischen Butler geträumt.

Donnerstag, 29. Mai 2008