Von den Prager Eiern (einst) und der Kulissenstadt (heute)

Donnerstag Es war wegen der Eier.
Als ich Prag vor 40 Jahren zum ersten Mal besuchte, war da noch der Eiserne Vorhang. Die Stadt miefte Grau in Grau. Die Leute waren eher abweisend, nicht redeaber eierfreudig. Ihre Eier galten als die schönsten unter ihresgeichen.
DESHALB FUHR ICH HIN.
Aber hallo? es war eine unendliche Prozedur Visa und Stempel zu bekommen. Nur weil mein lieber Vater mit seinen Gewerkschaftern schon drei Mal dort war und sich mit dem hingeschmetterten Lied «Die alten Strassen noch, die alten Freunde noch...» unvergesslich in die obere Parteiführung eingesungen hatte, bekam auch der Sohn als erster Sopran den Schein.
Der liebe Papa nahm mich dann vor der Abreise mit Stirnrunzeln ins Gebet: «An Deiner Stelle würde ich mich dort mit niemandem einlassen... » (Ich war mit 22 Lenzen in einer feurigen, sexuellen Phase und mein Vater war sich nicht klar darüber, ob diese den Kommunisten genehm wäre.)
Der zweite Rat: Seidenstrümpfe und Kugelschreiber. Vaters Augen begannen zu funkeln wie die Kerzen am Weihnachtsbaum: «DAMIT KRIEGST DU ALLE UND ALLES... AUF SEIDENSTRÜMPFE SIND SIE SPITZ!»
So staunte der Zöllner nicht schlecht, als ich bei der Einreise (WIEDER DIESES STEMPELTHEATER!) den Koffer öffnen musste und unter dem T-Shirt mit Fidel Castro drauf 86 Paar Nylons, sandfarbig, mit Naht lagen.
«Ohhh» schaute der Mann von den Strümpfen auf, «ohhh?!»
Sein Blick war lüstern,wie die Augen des Bären, bevor er die Honigwaben durchschleckt. Dann taxierte er meine Beine, die in schlabbrigen Bermuda-Shorts steckten: «... und wann tragen Sie die Nylons?!»
Der Zöllner war es dann auch, der mich vier Stunden später zu den Eiern führte. Er hatte eine Grosstante. Und die hatte. Ludmilla war grosse Klasse in der Ritztechnik. Überdies war sie landesverdiente Lokalmeisterin beim diffizilen Anrühren der Rotfarbe (Zwiebelschale, Randenwürfel, Kaffeesatz und etwas Ochsenblut).
Sie gab mich dann an die «landesverdiente Meisterin der Applikationstechnik» weiter. Und so lernte ich die berühmtesten Eier der damaligen Tschechoslowakei kennen.
Als ich wieder abreiste hatte ich statt der 85 Paar Nylons (ein Paar und das Fidel-Shirt bekam der Zöllner) vier Dutzend der schönsten Prager Ostereier im Koffer. Dazu die Reportage: DIE SACHE IST GERITZT!
An all dies habe ich nun im neuen, alten Prag denken müssen. Die graue Stille hat einer hysterisch-knalligen Touristen-fröhlichkeit Platz gemacht. Türme und Häuser sind herausgeputzt wie die Huren am Wenzelsplatz. Wie alle europäischen Metropolen ist auch Prag eine grell geschminkte Touristadt geworden, eine Disneyland-Kulisse für Last-Minute-Herumjagende. Der Alltag wurde in die Vororte ausgesperrt.
Mein altes Jugendstil-Hotel Pariz, funkelt heute in Blattgold und mit Übernachtungspreisen für welche eine tschechische Oma acht Monatsrenten hinlegen würde.
IM PARIZ IST DAMALS AUCH DIE SACHE MIT DEM NACHTESSEN PASSIERT.
Der kommunistische Propagandaapparat wollte dem eiersuchenden Tuckchen zünftig an den Sack. Ich hatte das Hotel nur mit Dinner-Voucher buchen können. Also machte ich mich auf in den Speisesaal.
ER WAR RIESIG. UND ES GAB RUSSISCHEN SALAT.
Ein Service-Ballett hatte eine riesige Pyramide aus Gläsern aufgebaut. Der Oberkellner entkorkte mit zartem Knall eine Flasche von diesem schrecklich klebrigen Krimsekt. Den liess er ins oberste Glas perlen. Wie eine Kaskade sprudelte der Sekt, als die erste Flûte voll war, in die nächsten Gläser. So immer weiter. Bis 27 Flaschen Krimsekt entknallt und alles eine plätschernde Zucker-Wein-Fontäne geworden war.
«Et voilà!»? verbeugte sich der Ober. Er klatschte in die Hände. Dann öffnete sich der alte, etwas vergammelte Samtvorhang vor der Saalbühne. Ein Orchester spielte zum Tanz auf. Allerdings war ich der einzige Gast im Saal.
An all dies habe ich denken müssen, als ich nun vor dem renovierten Hotelkasten stand, wo sich eben eine Herde Texaner mit Cowboy-Hüten und Donald-Burger kauend aus der Drehtüre drückte. Louis Vuitton, Cartier, Hermès sind heute in Prag daheim wie in London oder Paris. Überall herrscht derselbe Sushi-Dreh. Und die wenigen Restaurants, die noch böhmische Küche anbieten, lassen die traditionellen Knödel bei Pfanni kugeln.
Auf dem grossen Markt sind nun das ganze Jahr Buden aufgestellt, wo billige «Böhmer Glasfigürchen» und «Prager Ostereier» angeboten werden. Beides ist von chinesischen Händen erschaffen worden. Und wie in Venedig die gehäkelten Tischtücher, so kommen auch hier die «böhmischen Stickereien» aus dem Hinterland Pekings.
Ok. Time goes by und wer stehen bleibt, schadet der Umwelt. Immerhin. Einge Dinge haben sich bewahren können: Als wir beim Nachtessen im «Intercontinental » eben ein rohes Fischfricassé auf Ingwerschaum reinstochern wollten, platzte eine tschechische Hochzeitsgesellschaft herein. Sie liess die Korken über der Gläser-Pyramide knallen.
Allerdings: kein klebriger Krimsekt. Sondern: Taittinger rosé. Die Flasche zu 899 Dollar. Mit ihren Vätern habe ich mal Nylon-Strümpfe gegen Eier getauscht...

Donnerstag, 17. April 2008