Vom englischen Opernsommer und Reisen mit TomTom

Donnerstag - Innocent kommt mit Päckchen und verschworener Miene heim: «So. Das wird uns den Weg weisen!»
ER HAT AUF SEINE ALTEN TAGE DIE BIBEL GEKAUFT!
Ach. Hätte er nur.
Nein. Er schält einen kleinen Bildschirm aus dem Papier. Und strahlt: «Darf ich vorstellen - das ist TomTom. Er wird uns führen!»
«Heil, TomTom!», sage ich. Und beginne zu kochen. «Wir brauchen keinen Führer. Ich kenne den Weg. Und ich halte eh nichts von diesen elektronischen Wegweisern, die einen überallhin nur nie an den Zielort führen.»
«Jetzt komm mal runter!»
«NEIN. KOMME ICH NICHT. WEISST DU NOCH WIE MICH DIESES ARSCH VON EINER MÄNNERSTIMME IN GENUA RUMIRREN LIESS. DABEI HABE ICH DEN WEG INS HOTEL GENAU GEKANNT. ABER NEIN - DU MUSSTEST JA DIESEM HERRN TOMTOM VERTRAUEN. UND PROMPT SIND WIR AUF DEM SCHROTTFELD DER METALLABFUHR GELANDET!»
Innocent hustet verärgert: «Das war nur, weil ich einen Buchstaben im Strassennamen falsch eingegeben habe?» Na danke.
Innocent streichelt den kleinen Apparat, der nun plötzlich eine Strassenkarte aufwirft und Pfeile rumpfeilen lässt: «? im Übrigen ist dies hier das neuste Modell. Er wird direkt aus dem All mit Computerdaten gespeist!»
Himmel - muss das All mir den Weg durch London zeigen?
«Du kannst wählen, ob du eine Frauen- oder eine Männerstimme willst.»
Na ja - im Zeitalter, wo man sich sein Geschlecht aussuchen kann, reitet auch die Technik auf dieser Welle. Ich bin noch immer muff. Aber ich wähle den Mann. Wennschon, dennschon.

Samstag - Natürlich schüttet es auch in England à gogo. Aber es ist hier so ein angenehmer Nieselregen, als ob man unter einer Dauerbrause stehen würde.
Der englische Regen macht die wunderbarsten Gärten. Und wenn die Engländer auch keinen Kaffee kochen können - regnen können sie. Und gärtnern auch. Das muss ihnen der Neid lassen. Nirgendwo auf der Welt habe ich so herrlich üppig tropfende Hortensien gesehen wie in diesen englischen Gärten, wo man ein halbes Pfund Eintritt bezahlt, um den finanziellen Dünger an die Blumenpracht beizusteuern.
Anita, unsere Freundin auf dem Hintersitz, ist ganz aus dem Häuschen. Sie will so einen Hortensienstock für ihren Garten. Und obwohl wir ihr solches auszureden versuchen und auf die blumigen Umstände bei der Heimreise hinweisen, ist sie nicht mehr vom Unterfangen abzubringen: Auf ihrem Nebensitz wackelt nun ein Stock, grösser als sie selber, nasser als sie selber, grüner als sie selber. Und: «Nach 100 Metern links abbiegen?», sagt Herr TomTom.
Ihn kümmert es nicht, wenn der Stock dann in der Linkskurve kippt und Anita unter den Hortensien begraben hevorguckt: «Kannst du mich nicht vorwarnen!»
Leider hat Herr TomTom kein Vorwarnsystem punkto zu transportierender Hortensien.

Montag - In Garsington, diesem lieblichen kleinen Opern-Event, wo die Sänger durch den strömenden Regen kommen, um ihre Arie unter Britanniens tropfendem Himmel zu schmettern, in Garsington also empfängt uns die Hausherrin der Familien-Oper zu «Ton»-Brötchen und einem Schluck Pimms in der Bibliothek.
Garsington ist wirklich ein allerliebster Ort und für Rossini geeignet. Die Leute picknicken in den Opernpausen am Seerosenteich. Und weil sie sich ins Nasse setzen, hebt dann im zweiten Teil von Rossinis Donna del Lago ein fröhliches Niesen und Schneuzen an.
Diese Art von Picknick-Opern, die Glyndebourne vor mehr als 70 Jahren initiiert hat, sind in Britannien nun top chic. Die englische Textilindustrie ist dabei, wasserdichte Smokings zu entwickeln und Stöckelschuhe, an denen frau - bei Landregen - die Hacken abschrauben und eine Art Wasserskisohle am Pumps aufmontieren kann.
Auf der Rückfahrt zum Flughafen schwärmen wir noch immer vom englischen Summer-Pudding (zugegebenermassen das einzig Sommerliche in diesem englischen Sommer). Wir haben schon in Garsington bei Herrn TomTom «GATWICK LASTINGS» eingegeben, so dass wir uns unbekümmert auf den Weg machen und über die Zutaten im Summer-Pudding diskutieren konnten.
«Vermutlich Weissbrot mit Vanille und etwas Ingwer?», definiert Innocent den Inhalt, den er wohl im Backenzahn gespeichert hat.
«Ich tippe eher auf eine Prise Zimt und Rhabarberjus», mutmasst Anita, die ihren Hortensienstock im Arm hält, wie die Braut den Bräutigam.
«Sicher aber rösten sie das Brot üppig mit dieser herrlichen englischen Butter», will auch ich mit meinem Senf nicht hinter dem Berg halten, «und ich nehme an, sie brauchen dazu dieses flockige Toastbread, das man?»
«SIE HABEN DEN ZIELORT ERREICHT», unterbricht Herr TomTom.
Wir schauen uns um. «Seit wann liegt Gatwick am Meer?», flüstert Anita.
Vor uns ein Strassenschild: HASTINGS.
Innocent hat sich wieder vertippt - und TomTom irrt nie: Er hat uns nach Hastings geführt.
So jage ich dann mit Hilfe einer Strassenkarte nach Gatwick. Vom Flugzeug sehen wir eben noch den Schwanz.
Wir übernachteten auf den Sesseln im Flughafen. Gottlob hatte Anita den Hortensienstock. Er schenkte immerhin etwas Gemütlichkeit?

Donnerstag, 26. Juli 2007