Von einem Original in Cannes und Alltagskatastrophen

Donnerstag - Längst haben die Glühwürmer ihre Lichter ausgelöscht. Und sind gewöhnliche Fliegen geworden.
SIE ERINNERN MICH AN PENSIONIERTE CEOs UND ABGELAUFENE REGIERUNGSBEAMTE.
Ihr Glanz ist erloschen. Damit auch ihre Faszination. Sie sind nun ganz normale Würmer. Und kein Hahn kräht nach ihnen.
DAS GIBT JEDEM MUT FÜR DIE ZUKUNFT!
«So gehts uns allen», sinniert Innocent bei seinem Grüntee am Frühstück. «Wenn die Scheinwerfer erlöschen, kommt die zappendustere Realität zurück...»
Ich habe ihm gleich gesagt, er soll den Tag mit einem Espresso beginnen. Grüntee bereitet ihm stets eine leichte Morgendepression...

Freitag - Da mein lieber Onkel Nudelstadt uns nach Südfrankreich pfeift, packe ich die Regenbogen-Bermudas ein - und Ermahnungen an Loredana und Lida aus: «Die Topfpflanzen müssen mindestens einmal pro Tag begossen werden. Die Sonne kocht alles aus. Wenn ich zurückkomme und die Geranien sind nur noch Gestrüpp, werdet ihr es auch sein!»
«Si Signore» - nicken sie. Und reiben sich heimlich die Hände. Na ja - ich bin ja nicht blöd: Dolce Vita ist für die beiden angesagt. Kaum sind wir weg, zieht die ganze Sippe mit brüllenden Enkeln, einträglicher Meerschweinezucht und Riesenappetit auf unsern Kühlschrankinhalt ein.
«Wenn ihr an mein eingelegtes Filet im Eiskasten geht, reisse ich euch die Zähne aus!» - so weit Innocent.
«Si Signore» - so weit Lida und Loredana.
Ihre Gedanken sind anderswo - vermutlich bei den Meerschweinchen und einem improvisierten Gehege auf unserem englischen Rasen!

Samstag - Es ist IRRSINN, an einem sonnigen Samstag an der ligurischen Küste herumgondeln zu wollen. DIE AUTOBAHN-AUSGÄNGE SIND VERSTOPFT, WIE UNSEREINS NACH DREI MAL TOBLERONE.
Wir stehen im Stau. NICHTS GEHT MEHR - NUR DIE HUPEN GEBEN IHR LETZTES...
Meine Regenbogen-Bermudas sind so feucht, dass die wunderbaren Farben ineinanderlaufen. Ich sehe aus wie eine dieser Kunstinstallationen im Dreitagesgewitter.
Innocent trägt seine Konfirmations-Shorts. Satte Khaki-Farbe. Er taxiert mich naserümpfend: «Irgendwie erinnerst du mich an einen traurigen Weltfrieden - ein verwaschenes Peace-Zeichen, das jede Hoffnung verloren hat...»
In Khaki wird die Welt auch nicht besser!

Sonntag - Innocent hat Geburtstag. Ich jage schon um sieben Uhr morgens durch die Rue d?Antibes, um irgendwo einen kleinen Kuchen für den Frühstückstisch aufzutreiben. Onkel Nudelstadts Luxushotel bietet wohl Bügeleisen im Zimmer, Champagner in der Kühlbar und eine Telefonliste mit Namen wie «Lulu... Anne-Claire... Pung Wu (Thai-Reflex)», die Massagen für alternde Körper anbieten - aber beim Ruf nach einem Geburtstagsküchlein bekommt die 5-Sterne-Küche den Gong: «Da könnte ja jeder kommen!»
Natürlich sind die Läden so geschlossen wie die Herzen am evangelischen Glaubenstag gegenüber dem Leibhaftigen. Da ist nur Charles, dieses Original von Cannes. Seit Jahren zieht Charles mit einem vollgepackten Koffer durch die Strassen und erklärt, er müsse zum «Festival». Kein Mensch weiss, was der Kofferinhalt sein könnte. Miesmacher reden von einer Alkoholladung - Dramatiker von einer zerstückelten Leiche.
Charles macht mich an: «Un Euro, Monsieur?»
Ich salbe seine Hand geistesabwesend mit einer 5er-Note. Und frage ihn nach einem Bäcker, der am Sonntagmorgen Geburtstagskuchen backen könnte...
Charles öffnet schweigend sein Gepäck. Drin sind weder Leichenstücke noch Bierdosen - drin sind Kerzen. KERZEN!
«Die zünde ich jeweils den Heiligen an, Monsieur - damit sie für mich beten!»
Er schenkt mir eine seiner Kerzen: «Sie sind ein guter Mensch!»
Im Hotel stecke ich die Kerze in eines dieser von Butter triefenden Croissants. Und balanciere das Ganze an den Tisch: «Happy Birthday too youuu...»
Onkel Nudelstadt ist es schrecklich peinlich: «Hör sofort auf mit dem Mist... der Nachbartisch singt ja schon mit!»
Nur Innocent nickt zufrieden: «Das ist mal eine prima Idee... ich habe schon gedacht, du würdest hier wieder mit so einem teuren Kuchen aufkreuzen, den dann keiner isst...»
Er tätschelt mir die Hand: «Du bist ein guter Mensch!»
Habe ich doch heute schon irgendwo gehört...

Dienstag - Zurück auf der Insel, erwartet mich kein Blumenmeer. Sondern die Wüste Gobi.
Die Hängegeranien sehen aus wie gehängt und vergessen: rostbraunes Heu.
Wo einst ein grüner Rasen war, haben Enkel und Meerschweinezucht ein Schlachtfeld hinterlassen.
«Benvenuti Signori», strahlt Lida. «Wir konnten nichts tun - die Natur war stärker...»
«Mein Filet ist nur noch das halbe», jammert Innocent vor dem Eiskasten.
Höchste Zeit, dass Frau Merkel den Gipfel gegen die Alltagskatastrophen dieser Welt organisiert.

Donnerstag, 28. Juni 2007