Vom Monokel-Onkel und einem geerbten Schloss in Italien

Donnerstag - Antonio rief bereits um fünf Uhr morgens an: «Abbiamo il castello - wir haben das Schloss!!»
Natürlich ist es wunderbar als Schlossherr aus dem Schlaf gerissen zu werden. Nur Innocent baut die totale Krise: «Wenn das wieder so ein telefonischer Weinverkäufer ist...»
Es ist ein Erwachen mit pfeifendem Vogelgezwitscher (bis ich merke, dass es Innocents Hörapparate sind, nach denen er fingerlt, so dass diese erschreckte Piepslaute von sich geben) und Antonios Stimme, die sich in Begeisterung überschlägt: «Elisa lag auf dem Holzbock, als man sie fand. Vermutlich wollte sie ein Streichholz spalten, so geizig wie sie war...»
Elisa ist unsere Tante dritten Grades.
Antonio ist mein Vetter ebensolches.
Unsere gemeinsamen Wurzeln finden sich in den Grossmüttern.
Tausend Mal hat mir Grossmutter Elisas Geschichte runtergebetet: «... also Elisa und ich wurden als junge, schöne Mädchen nach Stresa geschickt.»
Die beiden Schwestern sollten in der italienischen Hotelfachschule am Lago Maggiore ihren letzten Schliff bekommen.
«... Elisa war ja schon immer etwas arg speziell», liess die Oma unheilschwanger die Ouverture ertönen. Ihr Hutschleierchen zitterte dramatisch: «... als dann dieser junge Mann mit dem Monokel im Auge sie zu einer Bootsfahrt einlud, da wusste ich gleich, dass er nicht nur das Monokel im Auge hatte... Natürlich ging ich mit. Und meine Ahnungen hatten ins Schwarze getroffen!»
Meine Grossmutter hatte ein Leben lang an Ahnungen gelitten. Als sie meinen Vater das erste Mal sah, hielt sie ihn für den Eierkohlenmann, gab ihm zehn Centimes und wedelte mit dem Finger: «Dass Sie mir ja keinen Dreck machen, junger Mann...»
Mein Vater nahm dankend das Trinkgeld und dann auch gleich noch die Tochter mit.
Die Ahnungen am Lago Maggiore waren ein Boot, das von einem Lakaien gerudert wurde. Elisa stieg ein. Und der Mann mit dem Monokel warf ihr vom Ufer aus hundert Rosen auf den Schoss. Die Oma war natürlich stinkesauer, weil er nach der letzten Rose auch ins Boot hüpfte und die Schwester ohne sie wegrudern liess.
Als die beiden zurückkamen waren die Blüten verwelkt. Und in der Familie war der Teufel los.
Das Monokel entpuppte sich als adlig. Und hatte ein Schloss über dem Orta-See. Er machte die Grosstante zur Contessa, denn das Boot hatte nicht umsonst so stark geschaukelt.
Jahrzehnte später erst wurde der Friede zwischen den Schwestern wieder hergestellt. Und da kam dann auch meine Mutter mit ins Spiel. Das Feuer des Eierkohlenmanns war am Erlöschen und das «Schloss» der Tante bedeutend faszinierender. So packte sie mich als Dreikäsehoch in den alten Peugeot. Fuhr mit dem kotzenden Kind alle Passkurven aus und versprach ihm: «Du kommst jetzt in ein richtiges Schloss zu Deiner Tante, die eine Baronin ist...»
«Wie die Königin im Märchen?», fragte ich.
«So ungefähr», sagte Mutter. Dann war da wieder eine Kurve. Und ich griff hastig zur Tüte.
Je näher wir diesem Dörfchen, wo das adlige Gut sein sollte, kamen, umso unwahrscheinlicher erschien es, hier ein Schloss anzutreffen. Immerhin gabs ein grosses Tor mit Wappen. Aber statt des Krönchens trug meine Grosstante eine Wollkappe, weil sie am Trauben lesen und allergisch gegen Rebläuse war.
Der Monokel-Onkel hatte schon lange ins Gras gebissen. «Zia», wie meine Mutter die Ahne nannte, führte den Haushalt mit ihren beiden Töchtern, die knausriger waren, als ein gewisser Lebenspartner von mir, den wir hier für einmal nicht erwähnen wollen, weil er mir nach der Geschichte mit der Ente androhte: «Noch einmal solche miesen Zeilen - und ich lasse Dir alle Kreditkarten sperren!!»
Na gut. Elisa, die älteste Tochter blieb ledig, um für «Mamma» zu sorgen. Ledige Töchter sind die Gratis-Alterspflege ihrer Familie. Das ist italienische Tradition.
Die andere Tochter wurde Antonios Mutter. Sein Vater war Aufsichtsrat in einem Frauenkloster bei Pistoia und als solcher sehr beansprucht. Jedenfalls starb er schon früh an einem Herzinfarkt und: «Ihr seid unsere einzigen Blutsbanden», schluchzten die beiden Frauen am Grab.
Antonio und ich schauten uns vielsagend an: «Das Schloss ist unser», flüsterten wir beim Leichenmahl mit Kutteln und gefüllten Schweinefüssen. Wir machten das Victory-Zeichen und träumten davon, einmal etwas Ähnliches wie die Herzogin von York zu sein.
Irgendwann heiratete dann mein Vetter so eine Tusse, deren Familie noch dem «Maestro Puccini» Spaghetti gekocht hatte. Da er ein Opernfan ist, genügte ihm dieser Anreiz.
Seine Mutter liess er mit der Schwester auf dem Schloss zurück. Die beiden Weiber wurden steinalt. Der gutseigene Wein war schlimmer als Essig - aber er konservierte anständig.
Als Antonios Mutter mit 95 Jahren vom Kirschenbaum fiel, weil die Schwestern zu geizig waren, sich einen Gärtner zu leisten, lebte Elisa noch drei Jahre alleine im Schloss. Man fand sie - wie gesagt - beim Holzhacke-Klotz.

Mittwoch - Sechs Tage lang bin ich herumgeirrt, um einen geeigneten Visitenkarten-Stecher zu finden, der mir «-minu, Castello Isotta» und das dazu passende Wappen mit Krönchen in Goldprägung reliefartig drucken kann. An dem Tag, als ich den Auftrag für 10000 Visitenkarten rausgegeben hatte, schellte prompt Antonio an: «Sie hat alles der Kirche vermacht...»
Auch das ist Tradition bei ledigen Töchtern in Italien.

Donnerstag, 15. März 2007