Vom Carnevale in Venedig und Pinocchio

Donnerstag - Als Evchen vor dieser Pasticceria in Monte Grotto die vergammelten Papierpünktchen am Boden kleben sieht, baut sie gleich eine Arie daraus «KONFETTI!» - schreit sie entzückt. «UND SCHAU MAL, WIE GROSS DIE SIND - KONFETISSIMI QUASI!»
Na ja - jeder spricht, wie ers in seinem «Italienisch in fünf Tagen»-Kopfhörer-Kurs gelernt hat.
«Räppli», sage ich eisig. «IN BASEL SAGT MAN RÄPPLI!»
Ebenso eisig weht die Räppli-Bise zurück: «Wir sind hier NICHT in Basel. Sondern in Venezien.»
«... das sind auch keine Räppli. Das ist getrockneter Taubendreck. Und mach jetzt, dass Du weiterkommst. Ernesto wartet.»
Ernesto ist Evchens Fango-Mann.
Tonnenweise kübelt er Dreck über sie. Und da ja in unserem schönen Land dieser weniger schöne Sänger mit dem speckigen Stirnband und dem Haaransatz eines ausrangierten Stubenbesens konstant penetrant nach «mehr Drägg» brüllt, ist Evchen hier in den fauleierig duftenden Erdklumpen der Euganeischen Thermen nicht mehr zu bremsen: Sie dreckt, wo sie kann.
Zurück zur Konditorei, wo sie zurzeit diese ausgebackenen Berlinerkügelchen pfundschwer gefüllt mit Zabajone-Creme anbieten und das Ganze «le Balle di San Giuseppe» nennen.
Na ja - der heilige Sepp muss eine gemütliche Nummer gewesen sein. Jedenfalls bringen seine Kugeln Glück und wen kümmerts, dass dieses Glück sich dann unglücklich auf die Hüften setzt.
«Wir fahren nach Venedig - zu Grethchens Ehren», sagt Eva. Und schaut himmelwärts, wo sie unsere liebe Freundin vermutet. «Grethchen hätte auch gewollt, dass ich als Prinzesschen komme - jetzt, wo die Pfunde weg sind...»
Zugegebenermassen muss man sagen, dass Evchen noch vor einem Jahr als gemütliche Ikea-Sitzgruppe an einem Kostümfest durchgegangen wäre. Seit sich nun aber dank dieser «Ich beiss es an und schluck es nicht»-Diät Formen ahnen lassen, sieht sie sich schon als Twiggy 2. Sie ist jetzt immer heiss drauf und macht die Umgebung an wie Waldi die Briefträger der Umgebung.
Bei Evchen wie auch dem Dackel muss man zu derer Entschuldigung sagen: «Keine Bange... sie machen nichts. Sie wollen nur spielen!»
«Innocent wird uns sicher mit seiner schicken Kutsche hinfahren», kam Evchen auf den Punkt. «Ich kann als Prinzesschen ja nicht gut in einem Vorortszug beim Canale Grande ankommen.»
«Komm als Gummiente. Dann kannst Du als Oma Duck durch die Kanäle anschwimmen...», giftelte ich.
Evchen aber bückte sich zum Boden: «... und es sind doch Konfetti. Pardon: RÄPLISSIMI.»
Immerhin: Sie ist lernfährig...

Samstag - Als Innocent uns gegen Abend vor diesem winddurchrüttelten Stall abholt, vor einer Baracke, die optimistisch orientierte Leute in einem andern Leben einmal «ALBERGO» getauft haben, da kleben unsere Mit-Schlammer wie die Fliegen am Fenster. Sie machen «aaahhh» und «ooohhh», als Innocents nachtblauer Jaguar ansurrt.
Wer verstünde die aufgeregte Begeisterung dieser armen Menschen nicht, wo sie doch immer in diesen Riesencars mit der «HEUTE HAUN WIR AUF DIE PAUKE»-Tonbandmusik aus dem Norden angekarrt und von ihrem Chauffeur alle zwei Stunden zu einem Pipi-Halt an den Waldrand gescheucht werden.
Mit der totalen Faszination ist es allerdings total - ICH SAGE EUCH - TOTAL - aus, als ein Riesen-Gummibär dem Jaguar entsteigt.
«Im Kostümverleih war dies das Günstigste», ruft Innocent uns zu und rückt sich seinen gefütterten Polyester-Gummibärenbauch zurecht. Da hier zwei Kugeln aufeinander prallen, hängt der Gummibärbauch immer etwas schief vom Innocent-Bauch ab, so dass das Ganze als «Bär mit doppelter Schwangerschaft» durchgehen könnte.
Evchen verzaubert dann die etwas ausufernde Situation mit ihrem Erscheinen. Sie hat sich die vergilbten Wolkenstoren des Speisesaals ausgeliehen und aus diesen so etwas gebastelt, das in einer Epoche, da noch keiner nordisch schlief, als «Bettüberwurf» durchging. In ihrem schüttern Haar trägt sie ein Krönchen, das sie in der «BARBIE, THE PAPPY PRINCESS»-Plastik-Kollektion gefunden hatte. Das Verrückteste aber ist eine Pinocchio-Holzpuppe mit abgehauener Nase. Überdies steckt Pinocchio in Mädchenkleidern: «... sie hatten keine Mädchen-Puppen in dieser Grösse», meint der acryltüllige Wolkenbruch entschuldigend: «Ahnt ihr jetzt, wen ich darstelle..?»
Jemand aus dem Volk meldet sich zu Wort: «Einen Staubsauger, der von der Stiftung Warentest ausgezeichnet worden ist?»
Evchen zieht die Lippen zu einem dünnen Strich: «Nein. Sie Dussel. Ich bin Sissi. Und dieses süsse kleine Mädchen aus Holz ist meine Tochter, die mir auf dem Markusplatz entgegenrennen und?MAMMA? schreien wird...»
(WUSSTEN SIE, DASS SISSI EINE TRANSSEXUELLE TOCHTER AUS HOLZ HATTE?)
Evchen, über die fehlenden Ehrerbietungen des Volkes leicht sauer, schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an: «Und das? Soll dieses Kostüm das Ende der Leberwurstsaison andeuten. Oder fährst Du einfach nur als abgefahrener Velopneu nach Venedig...?»
«Ich bin Superman», sage ich leise.
So fahren Sissi mit ihrer Pinocchio-Tochter und ein Riesen-Gummibär samt Superman nach Venedig.
Dort werden alle drei sofort verhaftet.
Der Carnevale hat nämlich noch gar nicht begonnen. Aber ein gewisser Commissario Brunetti sucht nach Motiven für ein neues Donna-Leon-Buch. Und da kommt ihm eine Mutter, die ihrem Kind die Nase abgehackt hat, gerade recht.

Donnerstag, 8. Februar 2007